Rock’n’Roll im besten Alter
Im Saarland haben Menschen ab 60 einen Chor gegründet, der ausschließlich Hits von Rockbands singt.
Saarbrücken. "Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an", singt Udo Jürgens und trifft damit das Lebensgefühl der vitalen Generation 60plus. Dennoch ist es eher ungewöhnlich, wenn Männer und Frauen in diesem Alter Rocksongs von Rammstein oder Westernhagen singen - so wie im Saarbrücker Chor der rockenden Über-60-Jährigen. "Heartchor" (Herzchor) nennt er sich, in Anlehnung an den Kinofilm "Young@Heart" (Jung im Herzen), der amerikanische Senioren porträtiert, die den Rock’n’Roll für sich entdecken.
Wie im Film gilt auch im Saarbrücker Chor eine Beitrittsbedingung: Mindestalter 60. Wenn diese Sänger von den "Ärzten" reden, denken sie nicht an Spritzen, sondern an die Berliner Punkband, deren Song "Junge" sie an diesem Vormittag noch üben müssen. Ganz hinten in den Gängen einer örtlichen Grundschule liegt der Probenraum des Heartchors, den die Stadt ihren neuen Rocksängern zur Verfügung stellt. Und die haben anfangs etwas Mühe, die Tempowechsel nachzuvollziehen. "Die Ärzte sind eine super Band. Die ziehen richtig das Tempo an. Da müsst ihr einfach mit", erklärt der Chorleiter Rouven Bitz.
Ganz so selbstverständlich wie die Probe aussieht, ist sie nicht. Denn zu Beginn sei viel Überzeugungsarbeit nötig gewesen, sagt Birgit Quien, Präsidentin der Saarbrücker "denkwerk-stadt", einem gemeinnützigen Verein, in dem Bürger verschiedene Projekte für ihre Heimatstadt entwickeln.
"Eines unserer Mitglieder hatte den Kinofilm 2008 auf dem Filmfest München gesehen. Dann haben wir beschlossen: Wir gründen die deutsche Antwort auf Young@Heart", sagt Quien. "Der Heartchor ist ein bundesweit einzigartiges Projekt." Durch Mundpropaganda und gezielte Ansprache von Rentnern mit Bühnenerfahrung kamen in kürzester Zeit elf Rockbegeisterte zusammen. Nach nur fünf Proben präsentierten sie im Anschluss an die Saarbrücker Premiere des Films den überraschten Kinogängern ihren ersten Song. Heute hat der Chor immerhin 25 Mitglieder. Er wird von einer Rockband begleitet und hat einen Sponsor.
Die anfänglichen Probleme sind längst vergessen. "Der Chor fand uns zuerst zu laut", erzählt der Kopf der Rockband, Christian Conrad. "Ich habe dann immer gesagt: Ihr seid ein Rockchor, der muss laut sein."
Doch was sagen eigentlich die Freunde zu ihren rockenden Altersgenossen? "Die finden das alle prima. Manche fragen, ob sie noch mitmachen dürfen", erzählt die 68-jährige Christa Stark. "Nur meine achtjährige Enkelin hat zu mir nach einem Auftritt gesagt: Oma, ich schäme mich für dich."