Prozess in den Niederlanden Fall Nicky Verstappen - Staatsanwaltschaft: „Nur ein Motiv möglich“
Maastricht · Was passierte am 10. August 1998, bevor der elfjährige Nicky Verstappen tot in der Brunssummerheide gefunden wurde? Die Staatsanwaltschaft präsentierte nun ihre Theorie.
Im Fall Nicky Verstappen, der vor 21 Jahren tot in der Brunssummerheide gefunden wurde, ist am Mittwoch in Maastricht der Prozess um den Tatverdächtigen Jos B. fortgesetzt worden. Der 57-Jährige ist wegen Totschlags angeklagt. Die Staatsanwaltschaft erläuterte am Mittwoch ihre Erkenntnissen und Schlussfolgerungen zu den Geschehnissen im August 1998 und forderte das Gericht auf, die Untersuchungshaft erneut zu verlängern.
Die Staatsanwaltschaft vertritt die Theorie, dass Jos B. am 10. August 1998 Nicky Verstappen festhielt, in seine Unterhose griff und den Jungen missbrauchte. Am Ende sei der Elfjährige erstickt. Eine andere Todesursache käme nicht in Frage; Selbstmord, ein Unfall, ein Schlangenbiss oder ein natürlicher Tod könnten durch die Ermittlungsergebnisse ausgeschlossen werden.
Nickys Leichnam wies keine Spuren auf, die eindeutige Schlussfolgerungen auf seine Todesursache zuließen. Jedoch seien an seinem Hals Druckpunkte und an seiner Nase und seinem Hals Verfärbungen gefunden worden, die auf Würgen oder Ersticken hindeuten würden.
Ein sexueller Übergriff sei nach Angaben der Staatsanwaltschaft das einzig mögliche Motiv, in dessen Folge es dann zum Tod des Jungen gekommen sei. Auf der Unterhose des Elfjährigen seien Speichel-Spuren von Jos B. gefunden worden, auf der Innenseite der Unterhose ebenfalls DNA-Spuren von Speichel und Hautschuppen sowie sogenannte Kontaktspuren. Die große Anzahl der gefundenen DNA-Spuren - insgesamt 27 - in Verbindung mit den Fundorten sage viel aus, so die Anklage. Zudem berichtet die Justiz von neuen Zeugenaussagen zweier Frauen, die besagen, Jos B. 1998 mit einem Jungen auf einem Fahrrad gesehen zu haben.
Jos B. schon 1985 wegen Sexualstraftat verurteilt
Auch in der Vergangenheit habe Jos B. ähnliche Verhaltensmuster gezeigt, als er 1984 und 1985 unbekannte Jungen in einem Wald von hinten packte, eine Hand auf ihren Mund legte und in ihre Unterhose fasste, erläuterte der Staatsanwalt. Dafür wurde Jos B. 1985 zu zwei Jahren Bewährung verurteilt. B. machte danach eine Therapie und kam unbeschadet durch die Bewährungsauflage.
Der 57-Jährige stritt im Gerichtssaal erneut ab, Nicky entführt, missbraucht oder ermordet zu haben. Laut seinem Anwalt hat er jedoch eine Erklärung verfasst, die er aber noch „bis zum geeigneten Zeitpunkt“ zurückhalten wolle. Auch nach mehrmaligen Rückfragen und Aufforderungen des Richters, sich zu den gefundenen DNA-Spuren zu äußern, berief sich Jos B. lediglich auf sein Schweigerecht.
Die Verteidigung bezeichnete die Theorie der Staatsanwaltschaft vom Mittwoch als „Fiktion“. Es gebe keine ausreichenden Beweise dafür, zudem gebe es noch immer eine DNA-Spur auf der Unterhose des Jungen, die zu einem Unbekannten gehöre. B.s Anwalt will im Hauptprozess Zeugen zu Wort kommen lassen, die bei der Spurensuche im August 1998 dabei waren. Das Gericht wird nun darüber entscheiden, welche Zeugen und zusätzliche Untersuchungen es im Hauptprozess geben wird, der voraussichtlich im März starten wird.
Der elfjährige Nicky Verstappen verschwand am 10. August 1998 während eines Sommercamps in der Brunssummerheide. Seine Leiche wurde einen Tag später gefunden. Jahrelang stockten die Ermittlungen, bis 2018 ein DNA-Massentest zu neuen Erkenntnissen führte. Am 12. Juni wurde ein europäischer Haftbefehl gegen den mittlerweile 57-jährigen Jos B. erlassen – er gilt als Tatverdächtiger. Am 26. August wurde er in Spanien gefasst, am 20. September begann sein Prozess in Maastricht. Bisher wurde der Fall noch nicht inhaltlich behandelt.
Am 28. November wird das Gericht entscheiden, ob Jos B. länger in Untersuchungshaft bleiben muss.