Überschwemmungen in den USA: „Wir müssen ganz neu anfangen“
In den Flutgebieten kämpfen die Menschen um ihre Existenz.
St. Louis. Fassungslos steht Donald Lang auf dem Feldweg. Sein Blickschweift über eine Wasserfläche - hin zu dem Hausdach, das in etwa 800 Metern aus den Fluten ragt. "Dieses Haus haben unsere Urgroßeltern gebaut", sagt der 34-jährige Maisfarmer leise. Immerhin konnten er und seine Familie noch ihr Hab und Gut retten, als der Mississippi kam. Doch das Haus ist vernichtet - "und unsere Ernte auch".
Schlimmer als nach dem Jahrhunderthurrikan Katrina, so hatte man in Amerika glaubt, könnte es nicht kommen. Doch in Illinois und Missouri steigt das Hochwasser des Mississippi weiter an - entgegen aller Voraussagen von Experten. Hunderttausende Hektar Ackerland stehen unter Wasser. Während in der Großstadt St. Louis die Deiche noch halten, stehen viele Bauern wie Donald Lang vor den Trümmern ihrer Existenz.
Lang wohnte in einem Bauerndorf nahe der 40 000-Einwohner-Stadt Quincy, die im 19. Jahrhundert von deutschen Einwanderern gegründet wurde. Als ihn die Polizei mit der Nachricht eines gebrochenen Deichs anrief, konnten er und sein Vater gerade noch das Haus leerräumen und mit zwei Trucks zu Freunden in einen höherliegenden Nachbarort flüchten.
Doch wie es weitergehen soll, wenn das Wasser einmal abgezogen ist, weiß der 34-Jährige nicht: Wie viele Bauern in dem Krisengebiet, eines der wichtigsten US-Zentren des Mais- und Sojaanbaus, hatten die Langs keine Versicherung gegen Hochwasser. "Wir sind ruiniert, wir müssen wieder bei Null beginnen", sagt Lang.
Weiter im Süden verfolgen die Menschen seit Tagen mit wachsender Besorgnis die Fernsehbilder aus den verwüsteten Gebieten. Immerhin: Die Einwohner der abwärts des Mississippi gelegenen Städte konnten sich auf das Kommen der Flut vorbereiten. Wie in St.Louis: In der Olympiastadt des Jahres 1906, auch "Das Tor zum Westen" genannt, arbeiteten tausende Freiwillige und Nationalgardisten daran, die gefährdeten Dämme mit Sandsäcken zu verstärken.
"Wir schuften seit Tagen rund um die Uhr, denn wir haben alle dasselbe Ziel", erzählt Mike, Jurastudent aus St. Louis. Er ist optimistisch: "Eine Katastrophe wie in New Orleans, das auf die Überschwemmungen nach Katrina überhaupt nicht vorbereitet war, wird es bei uns nicht geben." Und tatsächlich: Bis gestern Abend hielten die Deiche. Vorläufig.
"Im Augenblick ist die Lage noch stabil", erklärt Dan Busse vom Ingenieurkorps der US-Armee. Doch das Glas sei buchstäblich randvoll. "Jeder weitere Anstieg des Wasserpegels hätte auch in St.Louis katastrophale Folgen." Zwölf Meter über die Normalhöhe ist der Mississippi schon angestiegen. Die Menschen warten - und hoffen. Der "Ol’ Man River" ist unberechenbar.