Verdacht auf Betrug mit Aids-Arznei
Lübeck/Wiesbaden (dpa) - Verbilligte Aids-Medikamente für Afrika sollen mehrere Arzneimittelhändler teuer an deutsche Kunden verkauft haben. Das Bundeskriminalamt (BKA) bestätigte, dass gegen mehrere Pharmagroßhändler wegen des Verdachts auf systematischen Betrug ermittelt werde.
Federführend seien die Staatsanwaltschaften Trier, Lübeck und Flensburg, sagte eine BKA-Sprecherin in Wiesbaden. Die Staatsanwaltschaft Flensburg ermittelt gegen den Geschäftsführer eines Pharmahändlers auf der Insel Sylt sowie seinen Mitarbeiter. Sechs Millionen Euro Umsatz sollen die Beschuldigten mit dem Geschäft gemacht haben. Die Staatsanwaltschaft Lübeck ermittelt nach eigenen Angaben gegen die Geschäftsführer eines Pharmagroßhändlers aus Trittau in Schleswig-Holstein. Oberstaatsanwalt Günter Möller bestätigte entsprechende Berichte des Radiosenders NDR Info vom Donnerstag, wonach subventionierte HIV-Medikamente für Afrika illegal in Deutschland verkauft worden sein sollen.
Wegen mutmaßlichen Betrugs mit HIV-Medikamenten ermittelt die Staatsanwaltschaft Trier weiter gegen eine Importfirma in der Vulkaneifel. Fünf Gesellschafter und Geschäftsführer sollen unter anderem subventionierte HIV-Medikamente für Afrika umverpackt und zu einem höheren Preis in Deutschland verkauft haben, wie Oberstaatsanwalt Thomas Albrecht am Donnerstag sagte. „Es ist nach wie vor ein Anfangsverdacht, der derzeit genau untersucht wird.“ Bereits im vergangenen November hatte die Staatsanwaltschaft über den Fall berichtet. „Bislang weisen die Verdächtigen die Vorwürfe zurück, sie wollen sich erst dezidiert äußern, wenn sie Akteneinsicht haben.“
Holger Wicht von der Deutschen Aids-Hilfe sagte, ihm sei bisher kein Betrug dieses Ausmaßes bekannt. „Das ist ein ungewöhnlicher Vorgang“, erklärte der Sprecher. Wenn die Medikamente in Afrika fehlten, könne dies Menschenleben gefährden, sagte Wicht. Er warnte davor, die Abgabe von verbilligten Medikamenten für arme Länder generell infrage zu stellen. Wicht schlug vor, verstärkt Lizenzen für Generikaprodukte freizugeben. Vorstandsmitglied Winfried Holz verurteilte die Vorgänge „aufs Schärfste“.
Zu den Unternehmen, deren Produkte betroffen sind, gehört der Konzern GlaxoSmithKline. Der Hersteller teilte mit, man sei bereits im August 2009 über eine einzelne gefälschte Medikamentenpackung informiert worden. Die Charge sei zurückgerufen worden. Das Unternehmen habe Großhandel und Apotheken informiert. Auch Boehringer Ingelheim rief 2009 und 2010 Chargen zurück.
Eine Sprecherin von UN-Aids sagte in Genf, die Mitarbeiter des Programms der Vereinten Nationen zu der Immunschwächekrankheit hätten von den Fällen aus Deutschland noch nicht gehört. NDR Info meldete unterdessen, der Gesamtschaden der Betrugsfälle erreiche mindestens zweistellige Millionenhöhe.
Die Pharmabranche warnte vor Rückschritten im Kampf gegen Aids wegen krimineller Machenschaften. „Die forschenden Pharma-Unternehmen engagieren sich seit Jahren im Kampf gegen Aids, indem sie HIV-Medikamente zu stark ermäßigten Preisen an Schwellen- und Entwicklungsländer liefern“, sagte die scheidende Geschäftsführerin des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa), Cornelia Yzer, der Nachrichtenagentur dpa in Berlin. Kriminelle dürften diese Hilfe nicht untergraben.
Mit Blick auf gefälschte Medikamente betonte Yzer, Arzneimittelsicherheit habe höchsten Stellenwert für die Pharma-Unternehmen. „Deshalb sind wir gerade dabei, gemeinsam mit den Apothekern und dem Pharmagroßhandel in Deutschland ein System zu etablieren, das die Abgabe gefälschter Arzneimittel in Apotheken verhindert.“
Die Ermittlungsverfahren dauern zum Teil schon länger an. Untersuchungen der Staatsanwaltschaft Trier waren Ende 2010 erstmals bekannt geworden. Das Flensburger Verfahren lag seit 2009 ursprünglich bei der Staatsanwaltschaft in Bremen, sei aber Mitte 2010 weitergegeben worden, sagte Meienburg. Das BKA wurde nach Angaben seiner Sprecherin wegen der Dimension der Fälle und wegen der Verbindungen ins Ausland eingeschaltet.
Der gesundheitspolitische Fraktionssprecher der SPD im Bundestag, Karl Lauterbach, sprach im NDR von einem gravierenden Betrugsfall. „Ich weiß nicht, was man viel Schlimmeres an Betrug auf dem Pharmamarkt machen kann. Wenn ich Einkommensschwachen, die in Entwicklungsländern aidserkrankt sind, die Medikamente wegstehle, um sie hier teurer zu verkaufen - viel schlimmer kann man kaum vorgehen.“