Warum Ambulanzen überfüllt sind
Ein Notfallmediziner gibt einen Einblick in seine Arbeit. Patienten werden nach Dringlichkeit „sortiert“.
Wuppertal/Düsseldorf. Die steigenden Patientenzahlen in den Notaufnahmen stellen die Kliniken landesweit vor neue Probleme. Für Ulrich Leyer (Foto: Bethesda), Ärztlicher Leiter der Notaufnahme und Chefarzt am Wuppertaler Bethesda Krankenhaus, gibt es viele Gründe für den Anstieg. „Die Patienten erhoffen sich schnellere und bessere Hilfe als beim Facharzt. Zudem gibt es immer mehr ältere Menschen, die tatsächlich in die Notfallambulanz müssen“, sagt Leyer. Auch am Bethesda ist der Anstieg vergleichbar mit anderen Kliniken — seit 2011 werden dort rund 20 Prozent mehr Notfallpatienten registriert.
Dass immer mehr Patienten mit Bagatellerkrankungen in die Notaufnahme kommen — für die Krankenhausgesellschaft NRW ist das ein entscheidender Grund für die wachsende Zahl der Notfallpatienten — kann Leyer bestätigen: „Es gibt Patienten, die seit Wochen Schmerzen im Fuß oder am Rücken haben, ohne dass es einen Unfall gab. Die möchten sich dann nach Feierabend oder am Wochenende untersuchen lassen“, sagt der 48-jährige Chefarzt. Auch wenn solche Patienten eigentlich zum Facharzt gehören, weggeschickt wird niemand. „Wir sind verpflichtet, jeden Patienten zu behandeln“, sagt er. Um dringende von weniger dringenden Fällen zu unterscheiden, setzt das Wuppertaler Krankenhaus auf das sogenannte Triage-System. Bei diesem Auswahlsystem wird beim Eintreffen des Patienten entschieden, wie dringlich die Erkrankung ist — und danach wird ihm eine von vier Farben zugeteilt.
„Rot bedeutet dringlich, dazwischen gibt es gelb und grün. Wer blau bekommt, muss mit Wartezeit rechnen“, erklärt Leyer. Dass solche Patienten bei ein bis zwei Stunden Wartezeit ungeduldig werden, sei verständlich. Wartezeiten seien aber nicht zu vermeiden. Auch für Ärzte und Pflegepersonal hat die Belastung zugenommen. „Die Zeit für Ruhepausen ist geringer geworden“, bestätigt Leyer.
Auch am Düsseldorfer Marienhospital ist der landesweite Trend zu beobachten. Waren es 2011 noch rund 20 000 Fälle in der Notaufnahme, kamen 2013 rund 24 000 Patienten. „Neben der kurzfristigen Verfügbarkeit spricht auch die Ausstattung an diagnostischen Geräten für die Notaufnahmen“, sagt Kliniksprecher Martin Schicht. Zudem sei vielen Patienten nicht bekannt, dass es in den Städten meist als Alternative ambulante Notfallpraxen gibt. „Darüber muss stärker aufgeklärt werden“, sagt Schicht.
Nach Ansicht des Patientennetzwerkes NRW liegt der Fehler aber im System. „Die Zahl der Hausärzte besonders im ländlichen Raum, aber auch in Stadtteilen mit hohem Migrationsanteil sinkt immer weiter“, sagt Sprecherin Manuela Anacker. „In ihrer Verzweiflung gehen die Patienten dann direkt in die Notaufnahme.“
Den Vorwurf, es gebe immer mehr Patienten mit Bagatellerkrankungen, findet Anacker gefährlich. „Besser ein Patient mit einer Bagatelle mehr, als dass ein Schlaganfall nicht rechtzeitig behandelt wird“, sagt sie. Wichtig sei, dass sich Klinik-Ärzte und niedergelassene Ärzte nicht weiter den schwarzen Peter zuschieben. „Beide Seiten müssen sich an einen runden Tisch setzen, und diese Probleme, die alle Seiten erkannt haben, endlich lösen“, fordert Anacker.
Beim NRW-Gesundheitsministerium erkennt man zwar, dass Kliniken stärker für ambulante Notfälle in Anspruch genommen werden — jedoch betont ein Ministeriumssprecher, dass der Sicherheitsauftrag für die Versorgung von ambulanten Notfällen bei den Kassenärztlichen Vereinigungen liegt. „Der Bund hat den Ländern hierzu keine Regelungskompetenzen zugebilligt.“