Warum die Deutschen Europas Angsthasen sind
Kein anderes Volk wittert so häufig Gefahren wie wir. Gewarnt wird vor „fast“ allem — auch vor dem Föhnen.
Dortmund. Schlechte Schulleistungen durch Schnarchen, unfruchtbar durch beheizte Autositze, Herzinfarkt durch Bauchfett — oder die Angst vor der Föhn-Explosion: In Deutschland vergeht kein Tag, ohne dass vor mehr oder weniger drängenden Gefahren des Alltags gewarnt wird. Das hat einen guten Grund: „Die Deutschen sind besonders anfällig für Panik“, stellt Walter Krämer (63) fest.
Der Professor an Deutschlands einziger Fakultät für Statistik in Dortmund hat zehn Jahre lang Panikmeldungen gesammelt und nun in dem Buch „Die Angst der Woche“ zusammengefasst. Das Ergebnis: Forscher, Warentester und Medien warnen hierzulande bis zu vier Mal häufiger vor Alltagsgefahren als in Ländern wie Italien, Großbritannien und Frankreich.
Wie kann es sein, dass wir so viel häufiger Gefahren wittern? Krämer: „Es gibt eine Theorie des Schweizer Psychologen Carl Gustav Jung, wonach das deutsche kollektive Unterbewusstsein immer noch vom Dreißigjährigen Krieg geprägt ist, bei dem ein Drittel der Bevölkerung niedergemetzelt wurde. Seitdem haben wir Angst, dass uns der Himmel auf den Kopf fällt und morgen die Welt untergeht.“
Die intensive Beschäftigung mit potenziell krebserregenden Stoffen, Umweltgiften und Krankheitserregern sei der verzweifelte Versuch, sich zu wappnen — auch über jeden gesunden Menschenverstand hinweg. So erinnert sich Krämer an einen Warentest, der vor Brandgefahr bei Haartrocknern warnte. Bei genauem Hinsehen habe sich herausgestellt: Bei dem Test lief der Föhn 70 Stunden im Dauerbetrieb, ehe er in Brand geriet — das muss man als Verbraucher erst einmal schaffen.
Der Statistiker rät deshalb: „Wir sollten lernen, erst einmal nachzudenken und uns dann zu fürchten.“ Letzteres hätte sich dann meistens ohnehin schon erledigt.