Was Monheim mit dem Streit über Steueroasen zu tun hat

Städte wie Monheim gelten mit ihrer niedrigen Gewerbesteuer als unsolidarisch. Aber ein Gesetz ist noch in weiter Ferne. Bund und Länder sind tief zerstritten.

Foto: Ekkehard Rüger

Monheim. Die Niederstraße 29 in Monheim ist eine mittlerweile überregional bekannte Adresse — und das im doppelten Sinn. Firmen schätzen den zum „Business Center“ hochgejazzten Gewerbebau, um „unkompliziert und ohne große Zusatzkosten“ ihren Firmensitz nach Monheim zu verlegen und so von Nordrhein-Westfalens niedrigstem Gewerbesteuersatz zu profitieren. Anderen Kommunen, Medien und Politikern gilt das schlichte Gebäude als Symbol für Steueroasen innerhalb Deutschlands.

Foto: Ekkehard Rüger

32 Firmenschilder kleben auf dem unscheinbaren Briefkasten, doch anzutreffen ist an diesem Morgen nur ein Mitarbeiter der Web-Design-Firma „30 Doradus“. Kein Wunder, denn deren Inhaber steht auch hinter „Monheim 285“, jenem Unternehmen, das für 249 Euro monatlich Interessenten in der Niederstraße eine „ladungsfähige Geschäftsadresse“, Annahme und Weiterleitung der Post, Nutzung des Seminarraums und einen Arbeitsplatz im „Coworking space“ anbietet.

Monheims Bürgermeister Daniel Zimmermann ärgern solche Anbieter aus zwei Gründen. Zum einen, weil sie suggerierten, das Monheimer Erfolgsmodell basiere vor allem auf solchen Geschäftsgebaren. Das Gegenteil sei der Fall: „Sie sind für uns irrelevant. Die Kämmerei legt mir regelmäßig Übersichten über die Gewerbesteuereinnahmen ab 20 000 Euro aufwärts vor. Und da war noch nie eine dieser Firmen dabei.“ Monheim hat mit seinem Hebesatz von 265 Prozent im vergangenen Jahr aber 277, 3 Millionen Euro an Gewerbesteuer kassiert. Die 300 Unternehmen, die seit 2012 nach Monheim gekommen sind, haben zum Großteil auch wirkliche Arbeitsplätze mitgebracht — rund 2500. Zum Jahreswechsel ist der Hebesatz noch einmal um fünf Punkte abgesenkt worden.

Der zweite Grund, der Zimmermann auf die Palme bringt: „Diese Anbieter erwecken mit ihren Internetauftritten den Eindruck, als seien Briefkastenfirmen nach deutschem Steuerrecht zulässig. Das ist aber nicht der Fall.“ Hinter jedem Briefkasten müsse ein wirklicher Arbeitsplatz stehen. „Da vertraue ich der Überprüfung der Finanzbehörden. Und die unterstehen ja Herrn Walter-Borjans.“

Jenem Walter-Borjans, der als NRW-Finanzminister im vergangenen Dezember im Bundesrat mit einem Entschließungsantrag erfolgreich war. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf gegen Steuermodelle vorzulegen, bei denen Firmen durch innerdeutsche Lizenzzahlungen Gewinne in Gemeinden mit sehr niedrigen Gewerbesteuerhebesätzen verschieben. Er wolle damit „Steuertrickserei auch im eigenen Land“ unterbinden, so der Minister.

Doch mittlerweile ist der NRW-Vorstoß zu einem Streitfall zwischen Ländern und Bund geworden. Der SPD-Minister fährt dabei schwere Geschütze auf: „Dass der Bundesfinanzminister sich auch hier querlegt, zeigt einmal mehr, dass er zwar wortgewaltig gegen Steuerbetrug und -umgehung redet, aber bremst, wenn es um wirksames Handeln geht. Dafür, dass er Steuertricksern klammheimlich Schützenhilfe bietet, mehren sich die Indizien — bis hin zu seiner mehr als fragwürdigen Haltung in der aktuellen Schweizer Spionageaffäre“, sagt er unserer Zeitung. Denn aus Berlin vermisst Walter-Borjans bisher eine Reaktion auf den Antrag des Bundesrats.

Im Haus von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) reagiert man kühl. Die Bundesregierung erkenne das Interesse der Kommunen an, gerecht am Gewerbesteueraufkommen der ansässigen Unternehmen beteiligt zu werden. „Die Intention der Länder ist, gezielte innerdeutsche Gestaltungen zu verhindern, mittels konzerninterner Lizenzvereinbarungen die Gewerbesteuerbelastung in bestimmten Kommunen zu mindern. Dies hält die Bundesregierung für berechtigt.“

Allerdings habe der Bundesgesetzgeber bereits Regelungen vorgesehen, dem zumindest mittelbar Einhalt zu gebieten. „So gibt es den Mindesthebesatz von 200 Prozent und die gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen von Lizenzaufwendungen.“ Der Bund spielt daher den Ball zurück. Es sei „zunächst Sache der Länder, hier einen Gesetzgebungsvorschlag zu unterbreiten, der den Gestaltungen gegebenenfalls gezielter begegnet“.

Was gezielter helfen könnte, hat der NRW-Bundestagsabgeordnete Bernhard Daldrup (SPD), Mitglied im Finanzausschuss, Ende April bei einer Rede im Bundestag skizziert: „Es würde niemandem schaden, wenn der Mindesthebesatz, wie es der Bundesrat ja auch von uns erwartet, beispielsweise auf 300 Prozent angehoben würde. Das wäre jedenfalls ein Schritt in die richtige Richtung.“

Ein aus seiner Sicht noch besserer Schritt wäre die Einbeziehung der Freiberufler in die Gewerbesteuer. „Auf diese Art und Weise könnte man die Gewerbesteuer national verstetigen.“ Für die Freiberufler entstünden keine Nachteile, weil sie Betriebsausgaben von der Einkommensteuer abziehen könnten. Die Kommunen hätten ein Stück weit Verlässlichkeit „und die Unternehmen müssten nicht innerhalb Deutschlands nach Steueroasen spähen“.

Eine Argumentation, der sich Monheims Bürgermeister Zimmermann nicht anschließt. Denn er blickt über Deutschlands Grenzen hinweg nach Europa: „Mit einer Unternehmensbesteuerung von 32 Prozent ist NRW nicht wettbewerbsfähig.“ Seit Jahren verfolgt Zimmermann das Ziel, die Belastung der Firmen in Monheim unter 25 Prozent zu drücken. Mit der Hebesatzsenkung zum Jahreswechsel ist ihm das gelungen.

Ohnehin blieben von den Millioneneinnahmen nur zehn Prozent in der Stadt. Und über Kreis-, Landschafts-, Solidaritäts- und Gewerbesteuerumlage profitierten auch Nachbarkommunen sowie Bund und Land. „Fehlende interkommunale Solidarität“, wie Daldrup sie am Beispiel Bayer und Monheim ausmacht — Zimmermann mag sie nicht erkennen.