US-Gehirnforscherin: „Supercomputer auf zwei Beinen“

New York (dpa) - Cori Bargmann gilt als eine der erfolgreichsten Forscherinnen der USA und steht jetzt vor dem wohl größten Projekt ihres Lebens: Die Tochter deutscher Eltern leitet das millionenschwere Gehirn-Projekt von US-Präsident Obama.

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Bei Erfolg könnte ein Nobelpreis folgen.

Die Vorschusslorbeeren sind riesig. „Uns erwartet ein Hochgenuss“, sagt der Forscher Pat Levitt von der University of Southern California vor einem voll besetzten Saal auf der Wissenschaftskonferenz AAAS, als er den Vortrag seiner Kollegin Cori Bargmann ankündigt.

Bargmann sei eine „außergewöhnliche Wissenschaftlerin“, eine „Vordenkerin“, und werde nun eine Zusammenfassung ihrer Arbeit liefern, wie niemand im Publikum sie je zuvor gehört habe.

Bargmann streicht sich die langen, blonden Haare aus dem Gesicht und lächelt peinlich berührt. Dann tritt sie rasch ans Rednerpult und beginnt den Vortrag. Nichts geringeres als das Gehirn ist ihr Thema: Zehn Milliarden Neuronen, zehn Millionen Synapsen. „Eine einzige Wahrnehmung, wie das Erkennen der Stimme des Bruders am Telefon, könnte schon Millionen von Neuronen benötigen“, sagt die schmale, zierliche Frau im schwarzen Kostüm mit Perlenkette und hohen Schuhen, die das Publikum mit Charme und Witz schon bald auf ihre Seite gebracht hat.

Dank „unseren Freunden, den Computern“ sei es inzwischen schon viel besser möglich, Gehirnströme zu simulieren, sagt Bargmann und zeigt das am Beispiel eines Zebrafisch-Computermodells. Es blinkt und flackert und einmal blitzt es ganz besonders hell auf. „Oh, der Fisch hatte gerade eine Erleuchtung.“

Bargmann gilt als eine der erfolgreichsten Forscherinnen ihres Feldes in den USA. Zahlreiche Preise hat sie schon gewonnen, darunter 2012 die Kavli-Auszeichnung, die als ein Vorbote für den Nobelpreis gilt. Aber seit kurzem steht Bargmann vor dem wohl größten Projekt ihres Forscher-Lebens: US-Präsident Barack Obama hat der Wissenschaftlerin zusammen mit ihrem Kollegen Bill Newsome von der Stanford University die Leitung eines riesigen neuen Forschungsprojekts zur Kartographierung des menschlichen Gehirns aufgetragen.

Die oft mit dem Humangenomprojekt aus den 1990er Jahren verglichene millionenschwere Langzeit-Initiative soll eine „Brain Activity Map“ erstellen, die die Abläufe des Gehirns kartiert und die Funktionsweise der Nervenzellen aufschlüsselt. So könnten möglicherweise Ursachen und Heilungsmethoden zahlreicher bislang unheilbarer Krankheiten wie Alzheimer und Epilepsie entdeckt werden.

Das Ganze ist eine Herkulesaufgabe und auf den ersten Blick so gut wie unmöglich, das gesteht selbst Bargmann ein. Aber sie gibt sich optimistisch. „In den vergangenen Jahren hat es so grundlegende Veränderungen in der Technologie gegeben, die es möglich machen, sich einen Weg vorzustellen, an dessen Ende wir die Funktionsweise des Gehirns wirklich verstehen“, sagt die Forscherin bei einem Gespräch an der Rockefeller University in New York, wo sie seit zehn Jahren an Würmern forscht.

Bargmann sei „eine großartige Wahl“ für die Leitung des Gehirn-Projekts, sagte der Präsident der Rockefeller University, Marc Tessier-Lavigne, und auch andere Kollegen überschlagen sich geradezu mit Lob. „Sie zeichnet sich auf jede Art und Weise aus“, sagte die ebenfalls an der Rockefeller University forschende Leslie Vosshall. „Sie ist wie ein Supercomputer auf zwei Beinen.“

Die Wissenschaftlerin gilt als Ausnahmeerscheinung - einerseits hochdekoriert für ihre Forschungen, andererseits aber auch in der Lage, diese jedem verständlich zu erklären und dabei so schick und glamourös, dass sogar die Mode-Zeitschrift „Vogue“ ihr jüngst ein Porträt widmete.

Geboren wurde Bargmann 1961 im US-Bundesstaat Virginia. Ihre Eltern stammen aus Deutschland, wo ihr Vater als Übersetzer bei den Nürnberger Prozessen arbeitete. Später zogen die beiden in die USA, wo Rolf Bargmann als Informatikprofessor arbeitete und Ilse Bargmann ihren vier Töchtern die Werke des Tierforschers Konrad Lorenz auf Deutsch vorlas. Cori Bargmann studierte an der University of Georgia, ging dann ans renommierte Massachusetts Institute of Technology und später an die University of California in San Francisco.

Ihrem Mann, dem Medizin-Nobelpreisträger Richard Axel, zuliebe kam sie 2004 an die New Yorker Rockefeller University. Das Paar lebt am noblen Riverside Drive in Manhattan, geht häufig in die Oper und ins Ballett und jeden Abend essen. Kinder haben sie keine. „Keinen einzigen Tag in meinem Leben wollte ich Kinder“, sagte die stets in Designermode gekleidete Bargmann der „Vogue“. „Mentalitätsmäßig hat es mich da einfach nie hingezogen.“ In ihrem Büro hängen und liegen dutzende Fotos von ihrer Familie und ihrer Nichte und auf dem Fensterbrett stehen zahlreiche leere Champagnerflaschen - jede steht für eine erfolgreich abgeschlossene Doktorarbeit eines Studenten.

Bei so viel Vorschusslorbeeren, hofft Bargmann da insgeheim schon auf einen Nobelpreis, sollte das Gehirn-Projekt ein Erfolg werden? „Nein“, versichert die Wissenschaftlerin. „Ich hatte das große Glück, schon einmal bei einer Nobelpreisverleihung dabei sein zu dürfen, weil mein Mann den Preis 2004 gewonnen hat. Es ist natürlich wunderbar, Preise zu bekommen, weil das zeigt, dass die Menschen in deiner Branche dich respektieren und diese Menschen respektiert man ja selber auch. Aber ich denke nicht darüber nach, ob ich einen Preis bekommen sollte. Ich glaube, dass Menschen, die so etwas machen, sich nur selbst unglücklich machen. Ich war schon einmal bei einer Nobelpreisverleihung, es war wunderbar und das ist schon genug für mich.“