Wut und Trauer nach Grubenunglück in der Türkei
Istanbul/Soma (dpa) - Nach dem schwersten Grubenunglück in der Geschichte der Türkei wächst die Wut auf die Regierung.
Entrüstung löste ein Berater von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan aus, der am Ort der Katastrophe in Soma, wo mindestens 282 Menschen starben, auf einen Demonstranten eingetreten haben soll.
In Soma kam es zu erschütternden Szenen, als Familien die toten Kumpel zu Grabe trugen. Dutzende Bergleute sind noch unter Tage eingeschlossen. Das Feuer in den Stollen sei aber gelöscht, berichteten TV-Sender am Donnerstag. Die Katastrophe gilt als schlimmste dieser Art weltweit seit fast 40 Jahren. Der Koordinationsrat der Muslime (KRM) in Köln appellierte an Muslime bundesweit, das Freitagsgebet den Opfern von Soma zu widmen.
Berater Yusuf Yerkel hatte Erdogan am Vortag bei einem Besuch am Ort des Bergwerksunglücks begleitet, als dieser ausgebuht wurde. Auf Fotos war zu sehen, wie Yerkel auf einen Mann eintritt, den zwei Sicherheitskräfte am Boden festhalten. Medienberichten zufolge sagte Yerkel, bei dem Mann habe es sich um einen militanten Linken gehandelt, der ihn und Erdogan angegriffen und beleidigt habe.
Nach Angaben der Betreibergesellschaft Soma Holding wurden 450 Kumpel lebend gerettet. 80 Verletzte würden noch in Krankenhäusern behandelt. Laut Energieminister Yildiz waren zum Zeitpunkt der Katastrophe 787 Arbeiter in der Zeche. Somit blieb das Schicksal von 55 Arbeitern zunächst ungeklärt. Hoffnung gab es aber kaum noch.
Die Soma Holding teilte mit, die zuständigen Behörden überprüften das Bergwerk alle sechs Monate. Die letzte Kontrolle sei im März gewesen. Dabei seien keine Unregelmäßigkeiten festgestellt worden.
Türkische Medien hatten berichtet, die Regierungspartei AKP habe im vergangenen Monat Forderungen der Opposition zurückgewiesen, die Sicherheit an der Zeche zu überprüfen.
Die Nachrichtenagentur Dogan meldete, in der Zeche habe es nur einen einzigen kleinen Schutzraum für 6500 Menschen gegeben. Bergleute und Rettungskräfte sagten am Donnerstag in Soma, ihnen sei verboten worden, mit Journalisten zu sprechen.
Der Zorn vieler Türken entzündete sich auch, weil Erdogan die schlechte Sicherheitsbilanz der Kohlebergwerke in der Türkei heruntergespielt hatte: „Solche Unfälle passieren ständig.“
Die Proteste gegen die Regierung gingen weiter. In der westtürkischen Metropole Izmir ging die Polizei laut Medien mit Tränengas und Wasserwerfern gegen etwa 20 000 Demonstranten vor. Gewerkschaften hatten zum Streik aufgerufen. In Ankara und Istanbul hatten schon am Vorabend Tausende den Rücktritt der Regierung gefordert. Auch dort setzte die Polizei Wasserwerfer und Tränengas ein.
Am Donnerstag besuchte Staatspräsident Abdullah Gül den Ort der Katastrophe. Verzweifelte Familien mussten die Leichen ihrer Angehörigen identifizieren. Viele beklagten fehlende Informationen.
Ein Totengräber auf dem Friedhof in Soma berichtete, mit Hilfe von Freiwilligen seien mehr als 200 Gräber ausgehoben worden. Mehrere Beerdigungen fanden parallel statt. Lastwagen brachten die Särge zum Friedhof. Angehörige, darunter viele Kinder, weinten an den Gräbern.
Das Grubenunglück in der Türkei löste weltweit Trauer aus. Mehrere Länder, darunter auch Deutschland, boten der Türkei Hilfe an. In der Türkei kommt es immer wieder zu tödlichen Grubenunfällen.
Beim bis dahin schwersten Bergwerksunglück in der Türkei im Jahr 1992 kamen 263 Menschen ums Leben.