Zukunftsforscher fordert neue Reichtums-Definition
Hamburg (dpa) - Der Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski hat eine neue Definition von Reichtum gefordert - abseits von Geld.
„Wenn jetzt Sozialministerin Andrea Nahles eine besonders intensive Untersuchung des Reichtums in Deutschland ankündigt, wird es wieder nur um Zahlen, Geld und Güter gehen“, sagte der 74 Jahre alte Hamburger Forscher der Deutschen Presse-Agentur.
Es gehe jedoch im Leben nicht nur um Finanzielles, sondern auch um gefühlten Wohlstand.
Er arbeite deshalb mit dem „Nationalen Wohlstandsindex für Deutschland“ (NAWI-D), den er zusammen mit dem Sozialforschungs-Institut Ipsos entwickelt habe. Der Index enthalte auch ökologische, gesellschaftliche und individuelle Aspekte. Seit 2012 wurden bundesweit 20 000 Menschen ab 14 Jahren befragt.
Die SPD-Ministerin Nahles hatte am Montag vergangener Woche angekündigt, für den nächsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung vor allem den Reichtum zu durchleuchten. Der letzte verfügbare Armuts- und Reichtumsbericht stammt noch aus der Zeit von Schwarz-Gelb. Die Vorgängerregierung aus Union und FDP stellte 2013 unter dem Protest der SPD fest, die Schere zwischen Arm und Reich habe sich nicht weiter geöffnet. Das Armutsrisiko in Deutschland lag demnach mit 15,8 Prozent unter dem EU-Durchschnitt (16,9 Prozent).
Der Paritätische Wohlfahrtsverband beklagte dagegen kürzlich, es gebe in Deutschland 12,5 Millionen Arme - so viele wie noch nie seit der Wiedervereinigung 1990. Die Armut kletterte demnach von 15 Prozent im Jahr 2012 innerhalb eines Jahres auf 15,5 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Als arm stuft der Verband Menschen in Haushalten mit weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens ein. Betroffen ist man als Single damit mit 892 Euro und als Familie mit zwei Kindern mit 1873 Euro im Monat.
„Die Frage nach dem Reichtum wird immer wieder reduziert auf eine Geldfrage“, sagte Opaschowski. „Wir fragen dagegen die Menschen: Was verstehen Sie unter Wohlstand? Und was davon haben Sie für sich verwirklicht?“ Alle drei Monate würden Menschen dazu befragt.
Die Interviewten haben für die erste Frage 30 Antworten zur Auswahl. Sie reichen vom materiellen Vermögen über die verfügbare Zeit bis zum Umweltbewusstsein. Es gehe um die Unterscheidung von Lebensstandard und Lebensqualität.
„Ganz ohne Geld geht zwar gar nichts“, sagte Opaschowski. „Zusammen mit den gesellschaftlichen Werten - also etwa, dass wir hier in Freiheit leben können - spielen aber vor allem die individuellen Werte eine große Rolle. Das hat die Politik bisher verkannt.“ Die Politik habe den Menschen ihre Definition von Arm und Reich übergestülpt, sagte der Sozialforscher.
„Man hat den Menschen einfach gesagt: So, Ihr seid arm.“ Mittlerweile hätten manche Politiker festgestellt, „dass allein mit dem BIP, also dem Brutto-Inlandsprodukt, nichts gesagt ist“, sagte Opaschowski. „Zum BIP zählen auch Raketen, Drogen, Panzer, Zigarettenschmuggel. Alles das steigert das Wohlstandsniveau der Deutschen, sagt aber nichts über das Wohlergehen der Menschen aus.“
Künftig solle der Nationale Wohlstandsindex zum Beispiel auch mit Werten für einzelne Bundesländer veröffentlicht werden, sagte Opaschowski. „Hamburg und Bayern stehen ganz oben, nicht nur im Hinblick auf ihre finanzielle Situation, sondern auch gemessen an ihrer subjektiven Lebenslage.“
Der frühere Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg betonte, Geldarmut könne durch Beziehungsreichtum ausgeglichen werden. Darum seien auch Rentner und Familien in der Spitze der Wohlstandseinschätzung überrepräsentiert. „Bei den Rentnern ist dafür besonders der „Zeitwohlstand“ entscheidend. Und bei den Familien ist es der „Beziehungsreichtum“.“