23. Mai 1618: Prager Fenstersturz - Wie man einen Krieg beginnt

Wie beginnt man einen Krieg, den auch geschickteste Diplomaten nicht mehr wegverhandeln können? Wie viel Symbolkraft muss eine Tat ausstrahlen, die einen lokalen Konflikt zu einem Weltenbrand aufbläst? Heinrich Matthias von Thurn (1567-1640) entschied sich für das heute vergessene Mittel der „Defenestration“.

Foto: arte.tv

Prag. Es ging dem Grafen von Thurn nicht darum, die königlichen Gesandten einfach zu töten. Das wäre leicht gewesen, als Thurn am Morgen des 23. Mai 1618 als Anführer von rund 200 böhmischen Aufständischen schwer bewaffnet zur lächerlich verteidigten Prager Burg zog. Ein Schuss, ein Schwertstreich im Handgemenge, und das wäre es dann wahrscheinlich gewesen; ein bisschen Krach, ein bisschen Sühne, vorbei. Nein, Heinrich Matthias von Thurn sann auf eine Tat, deren Wirkung letztlich nicht einmal dadurch geschmälert wurde, dass die drei Opfer mit dem Leben davon kamen — und wählte die „Defenestration“.

Mit jenem zweiten „Prager Fenstersturz“, bei dem die königlichen Statthalter Jaroslaw Borsita Graf von Martinitz und Wilhelm Slawata von Chlum und Koschumberg sowie ihr Kanzleisekretär Philipp Fabricius aus einem Fenster (daher: de-fenestrieren) der Parger Burg gestürzt wurden, eskalierte ein langer Streit zwischen dem protestantischen Adel Böhmens und den katholischen Habsburgern auf dem Kaiser- und dem Königsthron.

Defenestration: „Die Top 5“
6 Bilder

Defenestration: „Die Top 5“

6 Bilder

Seit 1609 galt in Böhmen (dem einzigen König- innerhalb des Kaiserreichs) abweichend von der 1555 im Augsburger Religionsfrieden vereinbarten Regel „Cuius regio, eius religio“ (Lateinisch für: wessen Gebiet, dessen Religion) tatsächlich Religionsfreiheit. Kaiser Rudolf II. hatte sie den den protestantischen Ständen Böhmens für ihre Hilfe im Kampf gegen seine Brüder in einem „Majestätsbrief“ zugesichert.

Dabei ging es keineswegs nur um Religion, sondern auch um Geld. So war der protestantische Graf Thurn als Dankbarkeit für seine Hilfe von König Matthias zum kaiserlichen Obersten bestallt worden, „mit einem Wartegeld von 2000 Thaler“, wie die „Deutsche Biographie“ von 1895 vermerkt. Zusätzlich hatte er „die ebenso einflußreiche wie einträgliche Stelle eines Burggrafen von Karlstein und damit die Würde eines Hüters der Reichskleinodien und Landesprivilegien“ erhalten.

Die Nachfolger von Rudolf II beschnitten keineswegs nur die Freiheiten der böhmischen Protestanten, sondern gingen ihnen auch ans Geld. So verlor Heinrich Matthias von Thurn den Titel des Burggrafen von Karlstein samt der damit verbundenen stattlichen Einkünfte 1617 ausgerechnet anJaroslaw Borsita Graf von Martinitz — einen der beiden Gesandten, die heute vor 400 Jahren „defenestriert“ wurden.

Der Fenstersturz — offizieller Auslöser war die Auflösung der Ständeversammlung durch den König — war alles andere als eine Spontantat. Heinrich Matthias von Thurn knüpfte mit der Tat an den ersten Prager Fenstersturz von 1419 an: Damals hatten „Hussiten“, Anhänger des vor-lutherischen Reformators und als Ketzer verbrannten Jan Hus (1370-1415), das Rathaus am Prager Karlsplatz gestürmt, gefangene Hussiten befreit und zehn katholische Würdenträger einschließlich Bürgermeister „defenestriert“. Auf der Straße wartete eine Menge, die die Gestürzten dann erschlug.

Thurn setzte auf diese hussitische Symbolkraft, die seine Anhänger begeistertete und dem Kaiser jede Chance raubte, die Tat als Missverständnis abzutun. „Man hatte sich jedoch mit dem ersten Prager Fenstersturz von 1419 nicht besonders gründlich beschäftigt, sonst hätte man damit gerechnet, dass ein Sturz aus größerer Höhe nicht zwangsläufig mit dem Tod endet. Damals hatte man Leute bereitgehalten, die den durch den Sturz Verletzten den Garaus machte“, so der Politikwissenschaftler Herfried Münkler in seiner 2017 erschienenen Geschichte des 30-jährigen Krieges (siehe unten).

Laut protestantischer Angaben soll ein Misthaufen unter dem Fenster den Fall von Martinitz, Slawata und Fabricius gedämpft haben, laut katholischer tat die Muttergottes ein Wunder an ihnen. Dem Überleben der Drei folgten 30 Jahre Mord und Totschlag.