Unzulässige Asylbescheide Ermittlungen in Bamf-Affäre gegen Behördenchefin Jutta Cordt
Nürnberg (dpa) - In der Affäre um Unregelmäßigkeiten beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) soll die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth laut einem „Bild“-Bericht ein Ermittlungsverfahren gegen Behördenchefin Jutta Cordt eingeleitet haben.
Bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, bei der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg, beim bayerischen Justizministerium in München und beim Bundesinnenministerium war am Dienstagabend zunächst niemand für eine Stellungnahme zu dem Bericht zu erreichen.
Das Portal „bild.de“ berief sich auf einen Leitenden Oberstaatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg. Wie es hieß, ermittele die Behörde wegen des Verdachts der Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt. Auch gegen drei weitere leitende Bamf-Mitarbeiter werde aufgrund einer Strafanzeige ermittelt.
Unterdessen soll der unter Druck geratene Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) im Innenausschuss des Bundestages Rechenschaft über die Unregelmäßigkeiten beim Flüchtlingsbundesamt ablegen. In einer von den Grünen beantragten Sondersitzung befasst sich der Ausschuss am Dienstag kommender Woche erneut mit der Affäre um mutmaßlich unzulässig ausgestellte Asylbescheide. CSU-Chef Seehofer, der sein Kommen nach Angaben von Ausschussmitgliedern zugesagt hat, verspricht Aufklärung und schließt „auch personelle Konsequenzen“ nicht aus. FDP und AfD im Bundestag halten an ihrer Forderung nach einem Untersuchungsausschuss fest.
Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Luise Amtsberg, äußerte Zweifel an Cordt als Bamf-Chefin. „Wenn sich weiter verdichtet, dass die Leiterin des Bamf entweder Hinweise ignoriert hat oder nicht hinreichend informiert wurde, ist sie kaum mehr zu halten“, sagte Amtsberg der „Rheinischen Post“ (Dienstag). Ähnlich äußerte sich die Grünen-Politikerin in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Der ehemalige Bamf-Leiter Frank-Jürgen Weise nahm seine Nachfolgerin vor solchen Anwürfen in Schutz. „Es wäre unfair und auch unzulässig, ihr Vorfälle anzulasten, die lange vor ihrer Verantwortungsübernahme im Bamf geschehen sind“, teilte Weise laut „Spiegel Online“ mit. Der inzwischen pensionierte Behördenmanager hatte von September 2015 bis Ende 2016 gleichzeitig die Bundesagentur für Arbeit und das Bamf geleitet. Cordt war Anfang 2017 an die Spitze der Behörde gerückt.
Im Zentrum der Affäre steht die Bamf-Außenstelle in Bremen. Dort sollen zwischen 2013 und 2016 Mitarbeiter mindestens rund 1200 Menschen ohne ausreichende rechtliche Grundlage Asyl gewährt haben. Gegen die damalige Bremer Bamf-Chefin und weitere Verdächtige laufen Ermittlungen wegen Bestechlichkeit und bandenmäßiger Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung.
Bundesinnenminister Seehofer sagte der „Mittelbayerischen Zeitung“, er werde alles tun, „damit die Dinge ohne Ansehen von Personen oder Institutionen aufgeklärt werden, denn sie haben das Vertrauen in das Bamf beschädigt“. Er fügte hinzu: „Ich werde in der nächsten Woche Entscheidungen über organisatorische und gegebenenfalls auch personelle Konsequenzen treffen.“ Sein Fazit: „Es muss eine Menge geschehen, nicht nur in Bremen.“
In der Sondersitzung des Innenausschusses geht es darum, ob die Arbeitsabläufe bei der Behörde seit Bekanntwerden der Affäre so verändert wurden, dass ähnliche Manipulationen jetzt ausgeschlossen sind. Allerdings will die Opposition auch wissen, ob Seehofer wirklich erst am 19. April von der Affäre erfahren hat. Das hatte sein Ministerium mitgeteilt. Seehofer war noch nicht im Amt, als die Staatsanwaltschaft in Bremen ihre Ermittlungen gegen die damalige Leiterin der Bamf-Außenstelle und weitere Verdächtige aufnahm.
Inzwischen überprüft das Bundesamt auch zehn andere Außenstellen, die Flüchtlingen über- oder unterdurchschnittlich oft Schutz gewährt haben. Auf die Frage, ob es dort anders als in Bremen „nur“ um Schlamperei, Unvermögen oder schlichte Überlastung gehe, sagte Seehofer: „Letzteres scheint der Fall zu sein. Aber ich sage immer: Scheint der Fall zu sein. Wir sind ja mit Hochdruck dabei, die ganzen Dinge aufzuklären.“
Die AfD im Bundestag bekräftigte ihre Forderung nach einem Untersuchungsausschuss. Die Bamf-Affäre sei „längst nicht mehr nur ein Fall Seehofer“, sagte die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel. Kanzlerin Angela Merkel und der damalige Kanzleramtsminister Peter Altmaier (beide CDU), der im Oktober 2015 zum Gesamtkoordinator der Flüchtlingspolitik benannt wurde, steckten „mindestens ebenso in der Verantwortung“. Gerade Altmaier könne sich nicht hinausreden, er wäre nicht frühzeitig über die Missstände im Bamf informiert gewesen.
Für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses müsste ein Viertel der Bundestagsabgeordneten stimmen, neben AfD und FDP also noch eine weitere Fraktion. FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann kritisierte die ablehnende Haltung der Grünen. „Ich finde es jedenfalls befremdlich, wie sich die Grünen derzeit als Schutzmacht von Horst Seehofer gerieren“, sagte er der „Berliner Zeitung“ (Mittwoch). „Dass sich die Grünen dauerhaft als Schutzmacht von Horst Seehofer etablieren wollen, daran habe ich meine Zweifel“, fügte er in der „Saarbrücker Zeitung“ (Mittwoch) hinzu.
Die Linksfraktion hält einen Untersuchungsausschuss nach Angaben ihrer innenpolitischen Sprecherin Ulla Jelpke für „kein geeignetes Mittel der Aufklärung“. Er gieße „nur Wasser auf die Mühlen der rechten Hetzer von der AfD und der in ihrem Fahrwasser segelnden Lindner-FDP“, erklärte Jelpke am Dienstag. Der richtige Ort dafür sei der Innenausschuss.