Alemanns Analyse Wodurch entsteht Rechtspopulismus?
Meinung · Die neue Ampel-Regierung wird die AfD vergessen machen? Das ist sicher nicht so.
Der Rechtspopulismus bedroht unsere demokratische, pluralistische politische Kultur in Deutschland und in Europa. Manche sagen, nun mal langsam mit dem Alarmismus. Schließlich hat in Deutschland die AfD, eine typische rechtspopulistische Partei, bei der Bundestagswahl 2,3 Prozent, also fast ein Viertel ihrer Wähler verloren. Damit kann sie verglichen mit dem europäischen Rechtspopulismus keinen Staat machen, denkt man an Frankreich, Italien, Schweiz oder gar Ungarn, Polen, Slowenien und die Slowakei, wo diese sogar die Regierung anführen.
Also - alles ging glimpflich aus bei uns. Keine Sorge, die neue Ampel-Regierung wird die AfD vergessen machen? Das ist sicher nicht so. Natürlich sollte man die Bedeutung der AfD nicht über Gebühr aufblasen, aber auch nicht unterschätzen. Schließlich ist sie in den beiden Bundesländern Sachsen und Thüringen als stärkste Partei angewachsen. Dort hat sie auch die meisten Direktmandate gewonnen, sie bestimmt die regionale und lokale politische Kultur mit. Und das ist das Gefährliche: das Einsickern in die Alltagsnormalität der Menschen.
Was ist denn überhaupt Rechtspopulismus? In der Tat ist der Begriff schwammig. Klare Definitionen sucht man vergeblich. Nach Vorläufern in den USA der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts und im Frankreich der 50er Jahre griff der Rechtspopulismus seit den 80er Jahren weit darüber hinaus. Trump in den USA verkörperte ihn geradezu idealtypisch in all seinen Widersprüchen: Er selbst der Geldelite angehörig, aber sich als Stimme des kleinen Mannes ausgebend. In fast ganz Europa feiert der Rechtspopulismus seitdem große Erfolge und stellt auch Regierungen.
Abgrenzen muss man den Rechtspopulismus gegen den demokratischen Konservatismus, der im Parteien-Spektrum eher Mitte-Rechts zu verorten ist. Er bekennt sich ohne Einschränkung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Verfassung, besteht aber auf Bewährung und Bewahrung, auf Recht und Ordnung, Marktwirtschaft und Werten zum Schutz der Familie und des Lebens. Andererseits muss man den Rechtspopulismus abgrenzen von Neo-Faschismus und Rechtsextremismus, wo zum Grundgesetz höchstens Lippenbekenntnisse formuliert und offen autoritäre Regime gefordert werden. Allerdings changieren viele rechtspopulistische Parteien oder auch ihre Flügel schillernd und fransen mal mehr zum bürgerlichen Konservatismus, mal mehr zum Rechtsradikalismus aus.
Was sind die Kerngedanken des Rechtspopulismus? Das (deutsche) Volk wird als homogen gedacht, das von Einwanderung bedroht sei. Trump hat das für die USA klassisch formuliert: „Das einzige, was zählt, ist die Einheit des Volkes“, und jetzt kommt es: „All die anderen Menschen zählen gar nicht“. Volk ist also das, was einem passt. Der kleine Mann werde von denen da oben, den Eliten in Politik, Wirtschaft, Medien („Lügenpresse“) und Kultur manipuliert und herumgeschubst. Ein autoritäres Regieren müsse wieder Ordnung garantieren.
Was sind nun die Entstehungsgründe des Rechtspopulismus im Europa der letzten Jahrzehnte und auch in Deutschland? Armin Schäfer und Michael Zürn unterscheiden in ihrem lesenswerten Buch „Die demokratische Regression“ zunächst ökonomische und kulturelle Erklärungen. Die Ersteren basieren darauf, dass die wirtschaftliche Lage der betroffenen Schichten sich verschlechtert habe oder sich zu verschlechtern drohe. Sozialer Abstieg könnte folgen. Die Verlierer der wirtschaftlichen Modernisierung und der Globalisierung seien anfällig für Rechtspopulismus.
Die zweite, die kulturelle Erklärung stellt darauf ab, dass Betroffene die deutsche „Leitkultur“ bedroht sähen. Der kulturelle Liberalismus entwerte alle Traditionen, insbesondere durch Einwanderung von Flüchtlingen aus fremden Kulturkreisen (Islam). Die Modernisierung und Globalisierung wird ebenfalls beklagt. Die politische Korrektheit, z.B. durch Gendersternchen, vergifte das Diskussionsklima. Da flieht man lieber zum Rechtspopulismus.
Nach Schäfer und Zürn reichen diese Erklärungen nicht aus. Sie seien zu unpolitisch. Es gebe in der Tat in Deutschland Defizite der Repräsentation. Nicht nur Frauen, auch einfache Arbeitnehmer, Alleinerziehende, Personen mit wenig Bildung und Einkommen seien in der Politik zu wenig vertreten. Die Gesetzgebung bevorzuge die Interessen der Bessergestellten. Im demokratischen Pluralismus seien eben nicht alle Interessen gleich vertreten. Schon vor Jahrzehnten nannte das ein amerikanischer Wissenschaftler: „Der pluralistische Chor singt mit einem Oberschichtenakzent.“
Da ist etwas dran. Aber wenn es an sozialer Gerechtigkeit fehlt, warum werden dann nicht die linken Parteien gewählt, die dieses Ziel zentral verfolgen? Es ist eben doch eine Mischung aus ökonomischen, kulturellen und politischen Gründen, warum rechtspopulistische Parteien gewählt werden. Deshalb müssen auch alle Handlungsstrategien auf allen diesen drei Feldern ansetzen.