Analyse: Schüler rauben Lehrern den letzten Nerv
Eine neue Studie belegt, warum Lehrkräfte häufig frühzeitig aus dem Beruf aussteigen.
Freiburg. Unzählige Studien belegen, dass Deutschlands Lehrer kollektiv unter einem Erschöpfungszustand leiden. Die Statistik gibt ihnen Recht: Jede vierte Lehrkraft geht heute vorzeitig aus gesundheitlichen Gründen in Pension. Eine Rate, die damit deutlich über der der übrigen Angestellten im öffentlichen Dienst (17 Prozent) liegt.
In den 1990er Jahren schied sogar jeder zweite Lehrer frühzeitig aus. Doch woran liegt es, dass sich dieser Berufsstand bis zum Burnout im Klassenzimmer abrackert?
Hauptübel sind weder die Pisa-Katastrophe noch der Reformdruck aus den Kultusministerien. Das zumindest behauptet der Freiburger Mediziner Professor Joachim Bauer, der in einer aktuellen Studie erstmals den Krankmachern auf die Spur kommt. So sind es vielmehr pöbelnde und aufsässige Schüler, die den Lehrern den letzten Nerv rauben.
Das Ergebnis der Untersuchung an knapp 1000 südbadischen Lehrkräften ist wenig beruhigend: Offene Feindseligkeit, schwere Beleidigungen und Aggressivität seitens der Schüler erweisen sich als belastender als alle anderen Faktoren am Arbeitsplatz Schule - wie etwa Klassengröße, Geräuschpegel, Arbeitsumfang oder Alter.
"Auch von Elternseite erlebte Aggressivität und Unzufriedenheit haben negativen Einfluss auf die Lehrer", sagt der Studienleiter. Einen positiven Effekt haben vor allem positive Rückmeldungen von Schülern oder Eltern und Unterstützung der Lehrkräfte untereinander.
Bauer hatte bereits in früheren Untersuchungen herausgefunden, dass 43Prozent der Lehrer in einem Schuljahr feindseligen Pöbeleien ausgesetzt sind; gut vier Prozent würde Gewalt angedroht, 1,4Prozent würden sogar angegriffen. Der neuen Studie zufolge ist die Situation an den Hauptschulen besonders dramatisch: Dort wurden im Jahresverlauf mehr als 53Prozent der Lehrkräfte im Unterricht beleidigt und aggressiv angegangen.
Die Forschung hat davor bislang die Augen verschlossen. "Alle Fragebögen, mit denen die gesundheitlichen Belastungen erfasst werden, machen um das Thema Aggressivität eine große Kurve", so Bauer. Dabei würden Initiativen in Sachen Lehrergesundheit, die die Gewalt an Schulen nicht berücksichtigten, den wichtigsten Punkt außer Acht lassen, der Lehrer krank mache.
Die Konsequenz: Die Lehrerausbildung muss sich den neuen Anforderungen anpassen. Nach Ansicht des Mediziners gehört die Fähigkeit, auch mit schwierigen Schülern umzugehen, "zu einer Kernkompetenz des Lehrerberufs". Bauer: "Lehrkräfte, die zwar fachlich gut sind, aber nicht gelernt haben, gegenüber Schülern wirksam aufzutreten, sind nicht nur ineffiziente Ausbilder, sie verschleißen sich auch selbst."