Auflösung: Unsere Prognose 2009 - eine Bilanz
Vor einem Jahr wagten wir einige Voraussagen für die kommenden zwölf Monate. Vieles trat so oder so ähnlich ein, manches jedoch nicht. Hier die schonungslose Analyse.
Düsseldorf. Die Kunst der Prognose hat keinen guten Ruf. Sie sei nichts anderes als der Ersatz einer Lüge durch blindes Raten, meinen Spötter. Und zudem halte sich die Zukunft allzu oft nicht an unsere Anweisungen.
Nun, zumindest partiell können wir mit unserer Prognose 2009 hier den Gegenbeweis antreten. "Warum 2009 gar nicht so schlimm wird wie befürchtet" hatten wir vor zwölf Monaten getitelt. Und eine Reihe durchaus bedenkenswerter Argumente angeführt, die diese Sichtweise stützten. Hier also die Bilanz.
Geradezu sensationell richtig lagen wir mit unserer Einschätzung des Arbeitsmarktes. Die Arbeitslosenzahlen würden nicht wie befürchtet auf fünf Millionen heraufschnellen, schrieben wir. Und: "Regierung und Tarifparteien werden alles dafür tun, möglichst viele qualifizierte Arbeitnehmer in den Betrieben zu halten. Die Möglichkeiten der Kurzarbeit werden dafür noch einmal ausgebaut."
Tatsächlich blieben die Arbeitslosenzahlen unter vier Millionen, und das entscheidende Instrument dafür war die Ausweitung der Kurzarbeit.
Welche enorme Bedeutung die Kurzarbeit hatte und noch immer hat, mögen einige Zahlen verdeutlichen: Im September 2008 - vor Ausbruch der Finanzkrise also - waren lediglich 39 000 Arbeitnehmer in Kurzarbeit, im September 2009 mehr als 1,1 Millionen. Das sind allein 3,8 Prozent aller Beschäftigten.
60 000 Firmen nahmen bisher dieses Instrument in Anspruch, das im wesentlichen von der Bundesagentur für Arbeit finanziert wird: Sie übernimmt zwei Drittel des Nettolohnes und finanziert auch die Sozialabgaben.
Wie wichtig die Kurzarbeit ist, zeigt auch ein internationaler Vergleich. Während in den USA im Krisenjahr 2008/09 die Arbeitlosenquote von fünf auf zehn Prozent, in Großbritannien von fünf auf 8,8 Prozent und in Frankreich von sieben auf 9,5 Prozent hochschoss, verzeichnete Deutschland nur einen moderaten Anstieg auf 7,9 Prozent.
Die Kurzarbeit war für die deutsche Wirtschaft im Jahr 2009 "Rettung, Puffer und Narkotikum zugleich", schrieb jüngst der "Spiegel". Und eine Wette auf die Zukunft: Denn nur, wenn die Kurzarbeiter beim Anziehen der Konjunktur wieder in Vollzeit-Jobs überführt werden können, hat das Instrument auch seinen Zweck erfüllt.
Weniger schmeichelhaft ist die Bilanz unserer Prognose für die Staatsfinanzen. Wir glaubten, die Konsolidierung des Bundesetats gebe der Regierung den "Spielraum, kreditfinanzierte Konjunkturprogramme aufzulegen, ohne die Euro-Stabilitätsgrenzen einzureißen".
Tatsächlich liegt der Euro-Stabilitätspakt in Trümmern. Die Maastricht-Kriterien, maximal drei Prozent Neuverschuldung bei einer Gesamtschuldenlast von maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), also der Wirtschaftsleistung eines Jahres, sind nur noch Makulatur. 2010 wird die Neuverschuldung in Deutschland auf 5,2 Prozent steigen, und die Gesamtverschuldung liegt jetzt schon bei 73 Prozent des deutschen BIP.
Der schwache Trost, dass es anderen noch viel schlimmer geht (Frankreich 76 Prozent, Italien 115 Prozent und Griechenland 135 Prozent), macht die Sache aber kaum besser. Hier hatten wir die Gewalt der Finanzkrise unterschätzt.
Unsere Erwartung, dass die hohe deutsche Sparquote, in der Vergangenheit eher Konsum-Bremse, in der Krise zur Stütze des Konsums werden könnte, lässt sich durch Zahlen zwar nicht verifizieren, geschadet hat es aber bestimmt nicht. Dass die Infrastrukturprogramme zur Krisenbewältigung angesichts einer lange vernachlässigten öffentlichen Daseinsfürsorge bitter notwendig und auch für die Zukunft segensreich sind, sieht jedermann beim Blick auf unsere Schulen und Universitäten.
Auch den Ölpreis, den wir bei einer "Stabilisierung auf niedrigem Niveau" sahen, haben wir richtig prognostiziert. Ein gravierendes Versagen allerdings müssen wir ebenfalls einräumen: Den Geniestreich Abwrackprämie, das Aufregethema 2009, haben wir nicht vorausgesehen. Aber über deren volkswirtschaftlichen Segen oder Schaden streiten die Experten ja noch heute.
Alles in allem also, wir haben es gesehen, keine schlechte Bilanz. Wir lagen einmal sensationell gut, einmal gnadenlos daneben, und der Rest war so lala. Und insgesamt war das Jahr 2009 ja tatsächlich "gar nicht so schlimm wie befürchtet".