Jahr der Veränderungen Ausblick auf das neue Jahr - Das erwartet uns 2019

Düsseldorf · In der Weltpolitik und in der EU gibt es 2019 viel Sisyphus-Arbeit: vom Nahost-Konflikt über den Brexit bis zu einem Nationalradikalismus, der die europäische Idee weiter zu schwächen droht. Ein Ausblick auf das neue Jahr.

Symbolfoto.

Foto: Andrea Warnecke/dpa-tmn/Andrea Warnecke

Die Bemühungen, im kommenden Jahr Frieden zu schaffen, vergleicht unserer Karikaturist mit den Mühen des Sisyphus. Dem Unglücklichen, der laut griechischer Mythologie auf ewig einen Stein einen Berg heraufwälzen muss und kurz vor Erreichen des Gipfels doch wieder scheitert. Dass es in der Weltpolitik an vielen Stellen, von Nahost bis zur Ukraine, solch Sisyphus-Arbeit gibt, beleuchten wir in unserem Ausblick auf das neue Jahr. Große Unwägbarkeiten gibt es auch für die Zukunft der EU, wo nicht nur der Brexit und Wahlen anstehen, sondern auch ein Nationalradikalismus die europäische Idee weiter zu schwächen droht.

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Zwischen Russland, der Ukraine und Europa droht die nächste Eskalation

Jeder Sieg einer Anti-Europa-Partei in Europa ist ein Sieg für Russland und seinen Defacto-Diktator Putin, der 2019 von einer geschwächten EU erneut profitieren würde. Im Februar dürfte es zum beiderseitigen Ausstieg der USA und Russlands aus dem INF-Vertrag (Abrüstung von atomaren Mittelstreckenraketen) kommen. Russland leugnet, den Vertrag durch Entwicklung einer neuen Mittelstreckenrakete verletzt zu haben. Was das auf Dauer für Europa und die atomare Bedrohung bedeutet, ist schwer absehbar.

Im Juni muss Europa Stärke demonstrieren und Russland aus dem Europarat werfen, wahrscheinlich „droht“ Putin vorher mit dem Ausstieg. Hintergrund: 2014 ist den Russen nach der Besetzung und Annexion der ukrainischen Krim das Stimmrecht entzogen worden, 2017 hat Russland seine Zahlungen an den Europarat eingestellt. Begleicht Putin die Rechnung nicht bis zum Sommer, ist Russland draußen.

Nächster Konflikt: Die Verträge über russische Gaslieferungen durch die Ukraine laufen aus, es gibt bislang keine neuen Verhandlungen. Russland will die Ukraine mit neuen Pipelines wie „Nordstream 2“ umgehen, die EU will weiter den Transit durch die Ukraine. Ausgang offen. Je schwächer die EU in all diesen potentiell eskalierenden Konflikten dasteht, desto besser für Putin.

Patt in Syrien, wieder Krieg im Libanon?

Nach dem angekündigten Abzug der USA aus Syrien sitzt das Assad-Regime fester denn je im Sattel, gestärkt von seinen Schutzmächten Russland und Iran. An dieser Patt-Situation wird sich militärisch kaum etwas ändern lassen, schon gar nicht durch eine hilflose türkische Anti-Kurden-Offensive. Stattdessen droht der Konflikt nun das Nachbarland Libanon, wo bereits eine Million syrische Flüchtlinge gestrandet sind, in den Abgrund zu reißen. Im Libanon tragen Saudi-Arabien und Iran seit Jahren ihren Konflikt um die Vormachtstellung in der arabischen Welt aus – der Israel bedroht.

Auf allen Gesprächsebenen kamen deutsche Israel-Besucher 2018 mit der gleichen Botschaft nach Hause: Jaja, Gaza, schwierig und sehr lästig, aber die eigentliche Gefahr sind die Hisbollah und der Iran im Libanon. Seit dem Libanon-Krieg 2006 versagen die Vereinten Nationen verlässlich dabei, den Süden Libanons zu demilitarisieren.

Nach israelischen Angaben ist das Raketen-Arsenal der Hisbollah, finanziert vom Iran, heute größer als das mehrerer Nato-Staaten. In Video-Botschaften fordert die israelische Armee die UN seit mehreren Wochen unmissverständlich auf, endlich ihren Job zu machen – zur Vermeidung eines Krieges. Das ist nichts anderes als kommunikative Vorbereitung eines israelischen Präventivschlags.

Anders als 2006 würde ein neuer Krieg diesmal nicht mit Bodentruppen und beschränkt auf den Süden Libanons vorgetragen werden können, sondern aufgrund der Raketen-Bedrohung weit umfassendere Operationen und Luftschläge im gesamten Libanon und Syrien erfordern. Die israelische Politik könnte kaum sicherstellen, dass eine solche Art der Vorwärts-Verteidigung nicht auf eine direkte Konfrontation mit dem Iran hinausliefe. Was daraus folgte, ist unabsehbar.

Der Nationalradikalismus wird Europa weiter schwächen

Vor der Europawahl im Mai rüsten in vielen Ländern Nationalradikale zum Angriff auf die offene und liberale Ordnung Europas. In Polen und Ungarn wüten die autoritären Parteien gegen Europa, in Italien wird die rechte Clowns-Regierung nichts unversucht lassen, um für ihr Komplett-Versagen die Europäische Union verantwortlich zu machen, in Frankreich geifert nun auch der Rest der Sozialistischen Partei gegen Präsident Macron und seine Europa-Pläne.

Realistisch ist nicht damit zu rechnen, dass die Brexit-Folgen sich bei der Wahl bereits als heilsamer Schock und Warnung auswirken, dass der Preis für den Kampf gegen Brüssel immer die Schwächung des eigenen Landes ist. Denn die Faktoren, die den autoritären Nationalradikalismus in vielen Ländern zum politischen Wachstumsmodell machen, „sind auf Dauer geschaltet und lassen sich mit dem konventionellen Werkzeugkasten demokratischer Politik – im Wesentlichen Gesetze, Geld und Appelle – nicht kurzfristig verändern“, schreibt der Soziologe Wilhelm Heitmeyer im Schlusskapitel seiner neuesten Analyse des rabiaten Rechtspopulismus („Autoritäre Versuchungen“, Suhrkamp Verlag, 18 Euro).

Ein wesentlicher Grund laut Heitmeyer: Langsame Sozialisationsprozesse und dauerhafte Umstellungszumutungen hinkten den enorm schnellen ökonomischen Veränderungen immer hinterher: „Solche Ungleichzeitigkeiten führen ihrerseits zu Unsicherheiten, verstärken die Kontrollverluste in Teilen der Bevölkerung noch weiter und erhöhen die Attraktivität der autoritären Versuchungen und der zahlreichen Versprechungen zur Wiederherstellung von Kontrolle, wie sie der autoritäre Nationalradikalismus predigt.“ Bei der Verteidigung der offenen Gesellschaft, so der Soziologe, werde viel „von der Kraft widerspruchstrainierter und konfliktbereiter Gegenbewegungen abhängen“.

Ein europäisches Wahlergebnis, das im Mai zahlreiche Europa-feindliche Abgeordnete in das EU-Parlament spült, schwächt unabhängig jeder gesellschaftlichen Gegenbewegung die Politikfähigkeit Europas in allen internationalen Handlungsfeldern und allen akuten Konfliktherden, die Europa direkt oder mittelbar bedrohen. Im Jahr 2019 könnten sich etliche verschärfen und in neue Kriege und neue Fluchtbewegungen münden.

Deutschland im Sicherheitsrat – Chance oder Scheitern

2019 und 2020 erhält Deutschland (wie auch Polen und Belgien) einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Die Bewerbung traf im Sommer 2018 international auf allgemeine Zustimmung. Deutschland hat angekündigt, sich für die Themen Menschenrechte, Klimawandel und Frauenrechte einsetzen zu wollen.

Das ist löblich, im Sicherheitsrat drängen aber andere Themen: Die UN ist weltweit in 14 Friedensmissionen aktiv, die größten (und teuersten) laufen in Afrika – werden sie gestärkt oder geschwächt? Wie geht es in Afghanistan weiter, wie im Jemen, wie mit dem Iran-Abkommen, wie mit Nordkorea, wie in Nahost? In diesen Themen muss Deutschland seine Fitness für die Weltbühne beweisen – indem es sich geschickt statt lautstark für einen geschlossenen europäischen Auftritt einsetzt, die UN stärkt und damit für die internationale Ordnung, die von US-Präsident Trump täglich geschwächt wird.

Das ist eine große Chance, mit der Deutschland auf internationaler Ebene viel für Europa tun kann, zumal im Sicherheitsrat Frankreich und Großbritannien ständige Mitglieder sind. Der Erfolg ist keineswegs gewiss, Deutschland kann sich daran auch verheben.

Und: Außenminister Heiko Maas (SPD), der bislang eine gute Figur macht, muss jederzeit mit heimischem Störfeuer aus der faktisch auslaufenden Großen Koalition rechnen. Was bislang wenige politische Analysten auf dem Schirm haben: Der Sicherheitsrat ist die beste Gelegenheit für Kanzlerin Angela Merkel (CDU), zum Ende ihrer Amtszeit noch einmal weltpolitische Zeichen zu setzen.