Ägypten wählt im politischen Vakuum
Kairo (dpa) - Zwei Tage nach der Annullierung der Parlamentswahl durch das Verfassungsgericht wählt Ägypten einen Präsidenten.
Der Urnengang an diesem Samstag und Sonntag erfolgt in einem gewissen politischen Vakuum, nachdem das erst vor vier Monaten gewählte Parlament durch den Richterspruch am Donnerstag aufgelöst wurde. Der Kandidat der Muslimbrüder, Mohammed Mursi, lehnte es ab, sich aus der Stichwahl gegen Ex-Regierungschef Ahmed Schafik zurückzuziehen.
Auf einer Pressekonferenz in der Nacht zum Freitag drohte Mursi mit einer neuen Revolution, falls es Hinweise auf Wahlfälschung geben sollte. Er sagte: „Das Volk wird die Rückkehr der korrupten Vertreter des alten Regimes nicht zulassen.“
Am Freitag stieß Mursis Wahlkampfstab in einer Erklärung nach: „Wir gehen auf einen entscheidenden Moment und kritischen Wendepunkt zu, wenn sich die Revolution des großen Volkes den finsteren Kräften der Repression entgegenstellt.“
Bei der ersten Wahlrunde am 23. und 24. Mai hatten Mursi und Schafik die beiden ersten Plätze belegt. Da keiner von ihnen auf 50 Prozent der Stimmen kam, kämpfen sie nun in der Stichwahl am Wochenende um die Nachfolge des im Februar 2011 nach Massenprotesten aus dem Amt vertriebenen Langzeitherrschers Husni Mubarak.
Die Verfassungsrichter hatten am Donnerstag auch die Kandidatur Schafiks als rechtmäßig erkannt. Ein vom neuen Parlament beschlossenes Gesetz, das Vertreter des Mubarak-Regimes von hohen öffentlichen Ämtern ausschließt, erklärten sie für verfassungswidrig.
Mehrere Gruppierungen, darunter auch die Jugendbewegung 6. April, riefen zu Protesten gegen die Urteile des Verfassungsgerichts auf. Ihre Aktionen standen unter dem Motto: „Gemeinsam gegen den sanften Putsch.“ Dem Aufruf folgten aber am Freitagabend in Kairo nur wenige hundert Menschen. Sie zogen auf den Tahrir-Platz und vor das nunmehr aufgelöste Parlament.
Der Oberste Militärrat, der das Land seit dem Sturz Mubaraks regiert, erklärte nach einer Sitzung am Freitag, das Militär werde allen Versuchen, den Urnengang am Wochenende zu stören, entschieden entgegentreten. Ein Termin für die Wahl eines neuen Parlaments wurde nicht genannt. Beobachter erwarten, dass die Generäle demnächst eine Verfassungserklärung erlassen werden, um das Mandat des gewählten Präsidenten zu definieren. Die für Ende dieses Monats angekündigte Übergabe der Macht an eine gewählte zivile Regierung erscheint allerdings nach der Parlamentsauflösung fraglicher denn je.
Die Europäische Union forderte in Brüssel eine „faire und transparente“ Präsidentenwahl und einen raschen Übergang zu einer Zivilregierung. Die EU werde die Stichwahl „sehr genau beobachten“, sagte ein Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton. Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) mahnte eine Fortsetzung der Demokratisierung an. „Es darf jetzt kein Demokratievakuum entstehen“, sagte ein Ministeriumssprecher in Westerwelles Namen in Berlin.
Die jemenitische Friedensnobelpreisträgerin Tawakkul Karman rief die Muslimbrüder auf, sich aus dem Rennen um die Präsidentschaft zurückzuziehen. Auf ihrer Website schrieb sie: „Eure Teilnahme an der Präsidentenwahl wird nur eine Schau sein und Eurem Ansehen in der Bevölkerung schaden.“