Vatileaks — eine verworrene Affäre

Wer was mit welchem Ziel an die Öffentlichkeit durchsickern ließ, ist offen. Die Eckpunkte des Kirchenskandals.

Rom. Wer glaubte, dass die Verhaftung des päpstlichen Kammerdieners vor drei Wochen zur Klärung der Vatileaks-Affäre führen würde, sieht sich getäuscht. Durch die Mauern des Vatikan dringt nichts über die Vernehmung des Hauptverdächtigen.

Den Begriff prägte — eher verärgert — der Sprecher des Vatikan, Federico Lombardi; angelehnt an die Enthüllungsplattform Wikileaks. Leak — englisch für Leck — meint, dass es (mindestens) eine undichte Stelle im Vatikan gibt.

Bereits im Januar präsentierte der italienische Enthüllungsjournalist Gianluigi Nuzzi einen vertraulichen Brief an den Papst. Absender: Erzbischof Vigano. Der für die Verwaltung von Straßen, Gärten und Museen im Vatikan zuständige Vigano hatte zuvor Miss- und Vetternwirtschaft aufgedeckt.

Es ging um Auftragsvergabe an immer dieselben Firmen, die Honorare über Marktpreis kassiert haben sollen. Mit seinem Schreiben wollte Vigano seine Versetzung nach Washington vermeiden, um weiter gegen angebliche Mauscheleien zu kämpfen. Vergeblich.

Doch Journalist Nuzzi hatte weit mehr als diesen Brief zugespielt bekommen. In dem Buch „Seine Heiligkeit: Die geheimen Papiere von Benedikt XVI.“, veröffentlicht er weitere Aktennotizen und vertrauliche, an den Papst gerichtete Korrespondenz.

Es geht vor allem um Beziehungen des Vatikan zum italienischen Staat. Etwa eine Notiz eines vatikanischen Staatssekretärs an den Papst, mit der dieser das Kirchenoberhaupt auf ein Gespräch mit dem italienischen Staatspräsidenten vorbereitet.

Ob und wie er Fragen um italienische Gesetzesvorhaben ansprechen soll, etwa über die Gleichstellung von Lebensgemeinschaften mit Ehen. Oder ob er etwas zum Sexskandal des damaligen Regierungschefs Silvio Berlusconi sagen soll.

Sehr bald wird der Kammerdiener des Papstes überführt: Bei Paolo Gabriele sollen mehrere Ordner mit Kopien solcher Dokumente gefunden worden sein.

Seine Quellen gibt Journalist Nuzzi nicht preis, aber der Kammerdiener allein scheint es nicht zu sein: In einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt Nuzzi: „Es sind Christen, praktizierende Katholiken, die im Vatikan arbeiten oder leben. Sie wollen die Öffentlichkeit informieren über Ränke und unklare Vorgänge, Verschwörungen und kritische Punkte.“

In diesem Zusammenhang fällt auch immer wieder der Name des zweiten Mannes im Vatikan: Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Der Papst-Vertraute werde für Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht, die Veröffentlichungen sollten ihm schaden.

Mitten in die Enthüllungen platzte die Entlassung des Chefs der Vatikanbank. Als Ettore Gotti Tedechi gehen musste, sagte dieser, „aus Liebe zum Papst“ wolle er sich nicht gegen ihn gerichtete Vorwürfe wehren: „Besser, ich schweige, ich würde sonst böse Worte sagen.“

Hinzu kommen schon im Februar aufgekommene Gerüchte, der Erzbischof von Palermo habe von dem bevorstehenden Tod des Papstes gesprochen, was er aber selbst dementierte und der Vatikansprecher mit dem Begriff „Wahnvorstellungen“ kommentierte.

Auch nachdem Kammerdiener Paolo Gabriele verhaftet worden war, veröffentlichte eine italienische Zeitung weitere Dokumente, — mit Briefkopf und Unterschrift des deutschen Privatsekretärs des Papstes, Georg Gänswein. Dabei wurde der Text unkenntlich gemacht. Angeblich, um den Papst zu schützen. Was im Umkehrschluss heißt: Eine Kenntlichmachung des Inhalts könnte ihm schaden — klingt sehr nach Erpressung.