Ägyptens Armee spricht ein Machtwort

Istanbul/Kairo (dpa) - Nach den heftigen Massenprotesten gegen Präsident Mohammed Mursi hat das ägyptische Militär sich erstmals in den Konflikt eingeschaltet und ein Machtwort gesprochen.

Im Streit um die künftige Verfassung müsse es einen Kompromiss geben, der im Interesse der Nation und der Menschen in dem Land ist, erklärte die Armeeführung am Samstag in Kairo. Das gehe nur über einen Dialog. Alles andere werde Ägypten durch einen „dunklen Tunnel“ in die Katastrophe führen. „Das werden wir nicht erlauben“, warnte das Militär.

Nach Informationen der staatlichen Tageszeitung „Al-Ahram“ plant Mursi einen Erlass, der Soldaten die Festnahme von Zivilisten erlaube. Das Militär würde dieser Verfügung nach zusammen mit der Polizei für die Sicherheit im Land und den Schutz wichtiger Einrichtungen zuständig. Diese Regelung soll laut Bericht so lange gelten, bis eine neue Verfassung gebilligt wurde und die daraufhin anberaumten Parlamentswahlen beendet sind. Das von Muslimbrüdern und Salafisten dominierte erste Parlament nach dem Sturz von Machthaber Husni Mubarak war im Sommer vom Militärrat aufgelöst worden, nachdem das Verfassungsgericht die Wahl für ungültig erklärt hatte.

Mursi hatte für Samstag die Opposition zum Dialog gebeten. Der Einladung folgten jedoch nur wenige prominente Oppositionelle. Von den bekannten Aktivisten nahm nach Angaben einer Korrespondentin des Nachrichtensenders Al-Dschasira lediglich der Liberale Eiman Nur teil. Mursis Sprecher Jasser Ali teilte mit, dass mehr als 40 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bei den Diskussionen zugegen waren. Allerdings hatten fast alle maßgeblichen Oppositionsführer, unter ihnen Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei, bereits am Vortag abgewunken.

Die Aktivisten fordern von Mursi, dass er zunächst die Machtbefugnisse zurücknimmt, die er auf Kosten der Justiz ausgeweitet hatte. Zudem verlangen sie, dass das für den 15. Dezember geplante Referendum über den von Islamisten formulierten Verfassungsentwurf verschoben wird. Dazu erklärte sich Mursi nach Angaben seines Stellvertreters Mahmud Mekki am späten Freitagabend unter Vorbedingungen bereit.

Die Vorlage zur neuen Verfassung war von einer von Islamisten dominierten Versammlung erarbeitet worden. Die Opposition kritisiert, dass sich ihre Interessen in dem Verfassungsentwurf nicht wiederfinden und fordert eine Überarbeitung. Sie befürchtet zudem, dass der derzeitige Entwurf einer Islamisierung der Gesellschaft Vorschub leisten könnte. Denn vorgesehen ist danach ein größerer Einfluss der Religionsgelehrten.

Der Vorsitzende der Muslimbrüder, Mohammed Badia, ging die Aktivisten bei einer Pressekonferenz scharf an. Die jüngsten Ausschreitungen seien das Werk von bezahlten Krawallmachern, die dem Land schaden wollten. Die Bruderschaft habe acht „Märtyrer“ zu beklagen, sagte er und betonte: „Wir werden uns selbst, unsere Büros und Ägypten verteidigen.“ Bislang war in Ägypten von mindestens sieben Toten und mehr als 770 Verletzten bei den Auseinandersetzungen zwischen Islamisten und Oppositionellen in mehreren Städten des Landes die Rede gewesen.

Ähnlich wie Badia äußerte sich auch der von den Muslimbrüdern ursprünglich als Präsidentschaftskandidat aufgestellte Unternehmer Chairat al-Schater. Es gebe Kräfte, die dem Land und der neuen Regierung schaden wollten, sagte er und verwies zugleich auf die schwierige Wirtschaftslage in Ägypten. Solange es keine Verfassung und kein Parlament gebe, werde auch nicht investiert, betonte Schater bei einem seiner seltenen öffentlichen Auftritte. Deshalb müsse die neue Verfassung rasch verabschiedet werden.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle sprach sich derweil für einen „Dialog ohne Vorbedingungen“ in Ägypten aus. Dem „Kölner Stadt-Azeiger“ (Samstagausgabe) sagte der FDP-Politiker: „Präsident Mursi sollte die Kraft und Entschlossenheit haben, auf die Opposition zuzugehen. Der Verfassungsprozess war gedacht, um das Land zu einen. Nun droht er zum Anlass der inneren Spaltung Ägyptens zu werden.“