Analyse: Flüchtlingswelle reißt alte Gräben auf
Der Zustrom aus Tunesien stellt die Solidarität der EU-Mitglieder auf eine harte Probe.
Brüssel. Mit Stolz rühmt sich die EU ihrer Solidarität. Sie ist der Grundpfeiler, auf dem Europa aufbaut. Der Begriff wird in Brüssel häufig strapaziert. Nun ist mal wieder ein Testfall da: Der Flüchtlingsstrom aus Tunesien stellt die Solidarität der Staaten auf die Probe. Und da zeigt sich, dass die Hilfsbereitschaft Grenzen hat.
Wenn es um illegale Flüchtlinge geht, sind die EU-Staaten zerstritten. Auf der einen Seite stehen die Südländer wie Italien, Malta, Griechenland und Spanien. Sie fordern, dass auch andere EU-Staaten Bootsflüchtlinge aufnehmen, bevor ein reguläres Asylverfahren abgeschlossen ist.
Auf der anderen Seite stehen Länder, die nicht an den Südgrenzen der EU liegen — wie Deutschland, Schweden oder Österreich. Sie verweisen auf europäisches Recht: Laut „Dublin-II“-Verordnung ist das Land zuständig, in dem ein Asylsuchender erstmals EU-Boden betritt. Und so schlagen sich viele Flüchtlinge nach Italien durch.
„Diese Staaten stehlen sich aus der Verantwortung“, kritisiert ein EU-Diplomat. Eine generelle Aufnahme werde es in Deutschland nicht geben, machte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) klar.
Ein Vorschlag aus Rom zum Einsatz italienischer Polizisten in Tunesien ging dagegen völlig an der Sache vorbei. Rechtlich wäre dies nicht möglich, weil es sich um einen Eingriff in die Souveränität handelt; zudem ist es auch politisch nicht umsetzbar.
Doch nun könnte Europa gezwungen sein, seine Flüchtlingspolitik zu überdenken. Schon seit 2008 will die EU-Kommission die Asylgesetze vereinheitlichen. Deutschland und anderen Staaten sind die Vorschläge aber zu asylfreundlich. „Nicht jeder, der in Europa Schutz begehrt, ist auch schutzbedürftig“, heißt es in einem Positionspapier konservativer Regierungen. 2009 seien allein in der EU 250 000 Asylanträge gestellt worden.
Man müsse die afrikanischen Länder besser fördern, damit die Menschen dort Perspektiven hätten, antworten Politiker gerne auf die Frage nach dem besten Umgang mit den Flüchtlingen. Dann werde deren Zahl sinken. Der Haken daran: Erfolge bei der Armutsbekämpfung dauern Jahre — in der aktuellen Krise hilft Geld nicht weiter. Gut eine halbe Milliarde Euro gibt die EU von 2007 bis 2013 an Tunesien.