Angst um ein Paradies: Brasilien lockert den Schutz für seinen Regenwald
Parlament beschließt umstrittene Gesetzeslockerung zugunsten der Landwirtschaft. Umweltschützer sind entsetzt.
Brasília. Kein Geschäftsordnungstrick blieb ungenutzt, kein Verzögerungsantrag ungestellt, kein Einheitsappell unausgesprochen. Zum Schluss nutzte alles Taktieren nichts.
Das Abgeordnetenhaus in Brasília stimmte gegen den erklärten Willen von Präsidentin Dilma Rousseff einem Gesetzentwurf zur Aufweichung des seit 1965 geltenden Waldgesetzes zu.
Brasiliens Regierung steht vor einem Scherbenhaufen und die Auswirkungen für den Regenwald sind noch nicht absehbar. Der Ball liegt nun bei Präsidentin Rousseff, die das Gesetz vor Inkrafttreten unterschreiben muss. Sie hat ein Veto-Recht. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.
Immer wieder wurde die Entscheidung über die Novelle des als vorbildlich geltenden Gesetzes verschoben. Es sucht den äußerst schwierigen Spagat zwischen den berechtigten Interessen der Agrarwirtschaft und den nicht weniger fundierten Anliegen des Umweltschutzes.
„Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Zukunft des Landes. Das neue Gesetz ist ein Attentat der Agrar-Lobby auf unsere Biodiversität“, warnte Ivan Valente, Abgeordneter und Präsident der kleinen Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL).
„Eine Milliarde Menschen hungern auf der Welt und die radikalen Umweltschützer wollen unsere Produktionsflächen für Nahrungsmittel verringern. Absurd!“, donnerte dagegen der Sprecher der Agrar-Lobby „Ruralistas“, Moreira Mendes, den Kritikern entgegen. Die achtstündige Parlamentsdebatte geriet zur Feldschlacht.
Das neue Gesetz lässt die fixierten Mindestschutzbestimmungen („Reserva Legal“) für den Regenwald im Grundsatz unangetastet. So müssen auch künftig im Amazonas-Gebiet Landwirte 80 Prozent ihrer Fläche im ursprünglichen Zustand belassen. Nur 20 Prozent dürfen genutzt werden.
Doch sollen illegale Rodungen bis Juli 2008 unter Auflagen straffrei bleiben, Aufforstungspflichten wegfallen, die landwirtschaftliche Nutzung an Hangflächen ausgeweitet und der Schutz der ökologisch wichtigen Überschwemmungswälder vermindert werden.
Greenpeace sieht mit dem Beschluss jahrzehntelang erkämpfte Erfolge im Umweltschutz zunichtegemacht. „Der beschlossene Text gewährt eine totale und unbegrenzte Amnestie für die, die zu viel abholzten, und öffnet zudem eine Bresche für mehr Rodungen in Brasilien.“
Ähnliche Kritik äußerte der Lateinamerika-Referent beim WWF Deutschland, Roberto Maldonado: „Die Entscheidung ist ein Tiefschlag gegen das größte Tropenwaldgebiet der Erde.“
Aus Sicht der Befürworter bringt die Novelle dagegen Rechtssicherheit für die Mehrheit der Landwirte und bessere Bedingungen für die Agrarproduktion.
Die Waldzerstörung wird in Brasilien für nahezu zwei Drittel der klimaschädlichen CO2-Emissionen verantwortlich gemacht. Von August 2010 bis Juli 2011 wurden nach offiziellen Angaben 6238 Quadratkilometer Regenwald zerstört, elf Prozent weniger als im Zeitraum 2009/2010.