Chinesischer Bürgerrechtler flieht aus Hausarrest
Peking (dpa) - Der bekannte chinesische Bürgerrechtler Chen Guangcheng ist aus seinem Hausarrest geflohen. Der blinde Aktivist kletterte über eine Mauer seines Hauses und entkam seinen Bewachern, wie Freunde am Freitag berichteten.
Von seinem Dorf Dongshigu in der Provinz Shandong in Ostchina brachten sie den 40-Jährigen nach Peking. Die in den USA ansässige Menschenrechtsorganisation ChinaAid berichtete, der 40-Jährige verstecke sich „an einem absolut sicheren Ort in Peking“. Zu Spekulationen, dass er sich vielleicht in der US-Botschaft aufhält, sagte eine US-Botschaftssprecherin auf dpa-Nachfrage nur: „Wir haben im Moment keine Informationen.“
In einem Video, das nach seiner Flucht aufgenommen wurde, äußerte Chen Guangcheng große Sorge über das Schicksal von Frau, Kind und Mutter, die er zurückließ. „Sie könnten böse Rache an meiner Familie üben, weil ich entkommen bin.“ Das Video verbreiteten ChinaAid sowie die chinakritische US-Webseite boxun.com. Er berichtete von schweren Misshandlungen während seines Hausarrests, die auch seine Frau und Mutter erlitten hätten. Es sei „brutal und unmenschlich“ gewesen, was passiert sei. Er forderte Regierungschef Wen Jiabao auf, Ermittlungen aufzunehmen, wer seinen Hausarrest und die Misshandlungen angeordnet habe. „Diese Verbrecher müssen schwer bestraft werden.“
Der Bürgerrechtler hatte sich seit Ende der 90er Jahre mit seinem Einsatz für Opfer von Machtwillkür einen Namen gemacht. Trotz Erblindung hatte er sich die Juristerei beigebracht. In Anlehnung an die „Barfußärzte“, die im revolutionären China mit einfachen medizinischen Kenntnissen übers Land gezogen waren, wurde Chen Guangcheng „Barfußanwalt“ genannt. Er half auch Opfern von Zwangsabtreibungen in der Stadt Linyi und war den Behörden ein Dorn im Auge. 2005 wurde Chen Guangcheng zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Seit Ablauf einer Haftstrafe im September 2010 waren er und seine Frau in seinem Haus festgehalten worden.
Der Bürgerrechtler habe seine Flucht zwei Monate lang geplant, berichtete die Aktivistin He Peirong der britischen Zeitung „The Times“. Er habe die Bewegungen der Wachen studiert und sei am Sonntagabend in einem günstigen Moment über eine Mauer geklettert. Ohne Hilfe sei der Blinde stundenlang zu Fuß gelaufen, habe sogar einen kleinen Fluss durchquert und dann Kontakt zu ihr aufgenommen. Mit Hilfe von Freunden habe sie Chen Guangcheng an einen sicheren Ort gebracht, berichtete He Peirong. Die Wachen hätten seine Flucht aus dem Haus erst am Donnerstag bemerkt.
Die Aktivistin konnte später am Freitag nicht mehr telefonisch kontaktiert werden. Es wurde vermutet, dass sie festgenommen worden ist. Zuvor berichtete sie der „Times“ noch, zwar US-Diplomaten in Peking kontaktiert zu haben, dass Chen Guangcheng aber nicht in der Botschaft sei. Trotzdem hielten sich Spekulationen hartnäckig, dass er sich in der US-Botschaft aufhält, wie auch ChinaAid berichtete. Nächste Woche Donnerstag und Freitag wird US-Außenministerin Hillary Clinton zu einem zweitägigen Besuch in Peking erwartet. Die USA hatten sich wie auch Deutschland für Chen Guangcheng eingesetzt.
In seiner Videobotschaft schilderte der Bürgerrechtler auch, wie seiner Familie nach den brutalen Schlägen medizinische Hilfe verwehrt worden sei. „Sie brachen in unser Haus ein, dutzende Männer prügelten meine Fau heftig. Sie schlugen sie zu Boden, deckten sie mit einer Decke zu und schlugen mehrere Stunden auf sie ein. Dann machten sie das gleiche mit mir.“ Er nannte einige Namen angeheuerter Schläger und Bewacher. Der zuständige Funktionär habe ihm mehrfach entgegnet: „Uns ist das Recht egal.“ Auch sei ihm gesagt worden: „Die Partei hat uns aufgefordert, diese Arbeit für sie zu erledigen.“ Rund 70 bis 80 Leute hätten sein Haus bewacht, während weitere Sicherheitskräfte die Zugänge des Dorfes kontrolliert hätten.