Sierra-Leone-Tribunal spricht Charles Taylor schuldig
Addis Abeba/Den Haag (dpa) - Historischer Tag für die internationale Justiz: Liberias früherer Präsident Charles Taylor ist vom Sierra-Leone-Tribunal der Kriegsverbrechen mitschuldig gesprochen worden.
Damit ist der 64-Jährige das erste Ex-Staatsoberhaupt seit den Nürnberger Prozessen, das für derartige Verbrechen von einem internationalen Gericht bestraft wird. Taylor habe in Sierra Leone blutrünstige Rebellen umfangreich unterstützt und zu Verbrechen angestiftet, erklärte der Vorsitzende Richter Richard Lussick am Donnerstag. In dem Konflikt kamen mehr als 120 000 Menschen ums Leben.
Der Schuldspruch wurde international als Signal an andere Kriegsverbrecher begrüßt, dass auch sie zur Rechenschaft gezogen werden können. Taylor war der erste afrikanische Ex-Diktator, der vor einem internationalen Tribunal verurteilt wurde.
Allerdings sei von der Staatsanwaltschaft nicht zweifelsfrei bewiesen worden, dass er der Hauptdrahtzieher des blutigen Bürgerkrieges (1991-2002) im Nachbarland war. Taylor sei an der Planung der Straftaten beteiligt gewesen und habe den Kämpfern der „Revolutionären Vereinigten Front“ (RUF) geholfen, hieß es im Gericht weiter.
Deren Markenzeichen war es, Zivilisten die Gliedmaßen abzuhacken. Im Gegenzug für seine Unterstützung habe Taylor von einem der Rebellenführer sogenannte Blutdiamanten erhalten, hieß es. Allerdings konnte nicht bewiesen werden, dass er in dem Konflikt ein Kommandeur war, der direkte Befehle gab, befanden die Richter.
Das Strafmaß soll am 30. Mai verkündet werden. Prozessbeobachter gingen nach der Urteilsbegründung davon aus, dass vermutlich nicht die Höchststrafe - lebenslange Haft - verhängt wird.
Taylor war in insgesamt elf Punkten angeklagt, darunter Mord, Vergewaltigung, sexuelle Versklavung und die Zwangsrekrutierung von Kindern als Soldaten. In dem Prozess mit über 100 Zeugen, der am 4. Juni 2007 eröffnet worden war, sagten Prominente aus wie die US-Schauspielerin Mia Farrow, der frühere südafrikanischen Präsident Nelson Mandela und das britische Top-Model Naomi Campbell. Sie hatte einst nach einem Benefiz-Dinner in Kapstadt Diamanten geschenkt bekommen, die laut Anklage von Taylor stammten.
Taylor, der im blauen Maßanzug vor Gericht erschien und sich staatsmännisch gab, hat stets jede Schuld von sich gewiesen. Er sei das Opfer einer internationalen Intrige „mächtiger Staaten“. Im Gegensatz zu den Vorwürfen der Anklage habe er sogar versucht, in Sierra Leone eine friedliche Lösung des blutigen Konflikts zu vermitteln.
Beobachter rechnen damit, dass Taylor das Urteil anfechten wird. Erst wenn es nach einem Berufungsverfahren endgültig rechtskräftig werden sollte, müsste der Verurteilte die Strafe antreten. Für diesen Fall hat sich Großbritannien bereiterklärt, ihn in einer Haftanstalt unterzubringen. Zurzeit sitzt Taylor im UN-Untersuchungsgefängnis in Den Haag.
Die Vereinten Nationen und die Europäische Union begrüßten die Entscheidung in Den Haag. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte: „Das ist ein historischer und denkwürdiger Tag für das Volk Sierra Leones, für die ganze Region und darüber hinaus.“ Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sprach von einer wegweisenden Entscheidung im Kampf gegen die Straflosigkeit. Die Auswirkungen des Urteils reichten weit über Sierra Leone hinaus, betonte Ashton.
Auch die USA und die Bundesregierung sprachen von einem wichtigen Signal. „Der Prozess gegen Charles Taylor ist von enormer historischer und rechtlicher Bedeutung“, sagte US-Außenamtssprecherin Victoria Nuland in Washington. Er sende ein Signal an andere Kriegsverbrecher, dass sie ebenfalls zur Rechenschaft gezogen würden. Ähnlich äußerte sich Staatsministerin Cornelia Pieper: „Auch ehemalige Staatsoberhäupter können sich ihrer strafrechtlichen Verantwortung für Kriegsverbrechen nicht entziehen.“
Taylor war 2003 vor Rebellen aus Liberia geflohen. 2006 wurde er in Nigeria festgenommen. Während sich andere mutmaßliche Verantwortliche für Gräueltaten während des Bürgerkriegs in Sierra Leone in der Hauptstadt Freetown verantworten müssen, wurde der Prozess gegen Taylor aus Sicherheitsgründen in die weit entfernten Niederlande verlegt.
Die UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay erinnerte daran, dass sich auch der ehemalige Präsident der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, und der einstige Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, in Den Haag verantworten müssen. Auch gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir werde ermittelt. Pillay hatte kürzlich gefordert, der Internationale Strafgerichtshof solle sich auch der mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen in Syrien annehmen.
Das UN-Kinderhilfswerk Unicef bezeichnete das Urteil gegen Taylor als Sieg für alle missbrauchten Kinder. „Es wischt bei den Tausenden Kindern, die brutalisiert, verängstigt und ausgebeutet wurden, nicht einfach die furchtbaren Erlebnisse weg. Aber wir hoffen, dass es hilft, die Wunden zu heilen“, sagte Unicef-Direktor Anthony Lake. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nannte das Urteil einen Meilenstein, allerdings warteten noch viele Opfer auf Gerechtigkeit. Das katholische Hilfswerk Misereor und seine Partner in Liberia sprachen von einem guten Tag für den Friedensprozess und die Wiederversöhnung in dieser westafrikanischen Region.
Zuletzt war ein Staatsoberhaupt bei den Nürnberger Prozessen wegen Kriegsverbrechen verurteilt worden. Marine-Oberbefehlshaber Karl Dönitz, der nach dem Tod Hitlers kurze Zeit an der Spitze des Deutschen Reiches stand, erhielt wegen des Führens von Angriffskriegen zehn Jahre Gefängnis.