Berlin: Nach Merkel-Obama-Telefonat weiter große Differenzen

Berlin/Washington (dpa) - Die mutmaßliche US-Spionage in Deutschland hat das Verhältnis beider Länder stark belastet. Tagelang herrschte Funkstille zwischen Kanzlerin Merkel und Präsident Obama. Nun haben sie wieder telefoniert, ihre Unstimmigkeiten aber keineswegs ausgeräumt.

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„Es gibt in der Tat tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Diese ließen sich nicht so schnell überwinden. Merkel und Obama hatten am Dienstag nach tagelanger Funkstille erstmals wieder miteinander gesprochen.

Die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind bereits seit den ersten Enthüllungen vor gut einem Jahr über die Ausspähaktionen des US-Geheimdienstes NSA belastet. Die NSA hatte über Jahre auch Merkels Handy abgehört. Als vor einigen Tagen zwei US-Spionageverdachtsfälle bekanntwurden, erreichten die Verstimmungen einen neuen Höhepunkt.

Die Bundesanwaltschaft ermittelt derzeit gegen einen Mitarbeiter im Verteidigungsministerium, der US-Geheimdienstler mit Informationen versorgt haben soll. Bereits seit Anfang Juli sitzt ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Untersuchungshaft, der nach eigener Aussage über mehrere Jahre geheime Informationen an amerikanische Nachrichtendienste lieferte.

Merkel und Obama hatten nach Bekanntwerden der beiden Fälle tagelang nicht miteinander gesprochen. Merkel sieht die gemeinsame Vertrauensbasis erschüttert und hat die Geheimdienstarbeit der Amerikaner öffentlich scharf kritisiert.

Die Regierungen in Berlin und Washington äußerten sich nicht näher zum Inhalt des Telefonats von Merkel und Obama. Beide hätten ihre Auffassungen zum Thema ausgetauscht. Von US-Seite hieß es, Obama habe gesagt, er wolle in engem Kontakt über Wege bleiben, die die Geheimdienstkooperation verbessern.

Seibert sagte, mit Blick auf die Arbeit von Nachrichtendiensten und die Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in Persönlichkeitsrechte hätten Deutschland und die USA sehr unterschiedliche Auffassungen. „Das ist eine Sache, die sich mit ein paar Gesprächen nicht lösen lässt.“ Es handele sich vielmehr um einen Prozess der Überzeugung und gegenseitigen Annäherung, der sicher kein schneller sein werde. „Und daran arbeiten wir.“

Offen blieb, von wem die Initiative für das Gespräch ausging. Seibert sagte dazu lediglich, bei ihrem jüngsten Telefonat hätten Merkel und Obama verabredet, sich in einem bestimmten Abstand wieder zu sprechen. „Das ist jetzt geschehen.“ Es ist davon auszugehen, dass die Initiative von US-Seite ausging.

Angesichts der jüngsten Spionagevorwürfe - und wegen der NSA-Ausspähung - hatte die Bundesregierung vor einigen Tagen den obersten US-Geheimdienstvertreter in Deutschland zur Ausreise aufgefordert. Die „Bild“-Zeitung berichtete unter Berufung auf Sicherheitskreise, der Mann werde bis Ende der Woche ausreisen. Ein Außenamtssprecher sagte, er könne dies nicht bestätigen. Es bestehe aber kein Zweifel, dass der Amerikaner der Aufforderung folgen werde.

Seibert erklärte, die Regierung erwarte eine Ausreise innerhalb eines „angemessenen Zeitraums“. Konkreter äußerte er sich nicht. „Es ist aber auch klar, dass wir hier nicht über Monate sprechen.“

Der frühere US-Botschafter in Deutschland, John C. Kornblum, warf der Bundesregierung vor, wegen der Spionagevorwürfe überzogen zu reagieren. Es sei zwar eine Dummheit des US-Geheimdienstes CIA, falls dieser tatsächlich deutsche Beamte als Informanten genutzt haben sollte, sagte Kornblum dem RBB-Inforadio. Dennoch wundere man sich in den USA, in welche Richtung die deutsche Außenpolitik gehe. Kornblum beklagte eine Art Empörungskultur in Deutschland.