Möglicher Premierminister Boris Johnson steht wegen „Brexit-Lügen“ vor Gericht
London · Boris Johnson hatte Umfragen zufolge bislang gute Chancen, neuer Premierminister zu werden. Doch seine früheren Angaben dazu, wie viel Geld London an Brüssel zahlen muss, könnten ihm nun zum Verhängnis werden.
Der aussichtsreiche Kandidat für das Amt des britischen Premierministers, Boris Johnson, muss sich wegen mutmaßlich falscher Angaben zum Brexit vor Gericht verantworten. Der private Kläger Marcus Ball wirft dem 54-jährigen Politiker vor, die Öffentlichkeit mit Lügen beim Referendum 2016 und bei der Neuwahl 2017 in die Irre geführt zu haben. Der Ex-Außenminister gilt als Favorit für die Nachfolge von Regierungschefin Theresa May.
Bei den Vorwürfen geht es um die Summe, die Großbritannien wöchentlich an die Europäische Union zahlt. Johnson hatte behauptet, dass das Vereinigte Königreich wöchentlich 350 Millionen Pfund (knapp 400 Millionen Euro) an die EU weiterleiten müsse. Dieses Geld könne besser in den nationalen Gesundheitsdienst NHS investiert werden. Der NHS gilt als marode und ist besonders im Winter überlastet.
Für seine Angaben hatte Johnson in der Vergangenheit heftige Kritik einstecken müssen. So rügte der Chef der Überwachungsbehörde für öffentliche Statistiken in einem Brief den exzentrischen Politiker: Es handle sich bei den 350 Millionen Pfund um einen Bruttobetrag, bei dem nicht in Betracht gezogen werde, dass Großbritannien auch Geld von der EU zurückerhalte. „Das ist ein klarer Missbrauch öffentlicher Statistiken“, hieß es im September 2017 in dem Schreiben.
Nach Statistiken der Europäischen Union erhielt Großbritannien 2017 EU-Mittel in Höhe von etwa 6,33 Milliarden Euro, vor allem für die Landwirtschaft. Auch die Forschung wurde damit unterstützt.
Nach einer Anhörung Johnsons soll sich der Strafgerichtshof um den Fall kümmern, kündigte eine Richterin am Mittwoch in London an.
Johnson war im vergangenen Jahr aus Protest gegen den Brexit-Kurs von May als Außenminister zurückgetreten. Er will nun May beerben. Sie kündigte an, am 7. Juni ihr Amt als Parteichefin der Konservativen abzugeben. Bis Ende Juli soll ein Nachfolger bestimmt werden. Dann will May auch die Regierungsgeschäfte abgeben. Ein knappes Dutzend Politiker hat sich für die Nachfolge beworben.
Großbritannien soll bis zum 31. Oktober aus der Staatengemeinschaft ausscheiden. Das von May mit Brüssel ausgehandelte Austrittsabkommen wurde aber vom Parlament, das über den Brexit-Kurs zerstritten ist, bisher drei Mal abgelehnt. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Bleibt es dabei, droht ein abruptes Ende der Mitgliedschaft mit dramatischen Folgen.
Beim Brexit-Referendum hatte sich eine knappe Mehrheit (52 Prozent) für die Trennung von der Staatengemeinschaft ausgesprochen.