Bundeswehr-Ansehen in Afghanistan auf Tiefpunkt
Kabul (dpa) - Neun Jahre nach Beginn des internationalen Engagements in Afghanistan hat das Ansehen der ausländischen Truppen am Hindukusch einer Umfrage zufolge einen Tiefpunkt erreicht.
Nach der am Montag veröffentlichten Befragung im Auftrag des WDR, des US-Senders ABC, der britischen BBC und der „Washington Post“ stellen rund zwei Drittel der Afghanen den amerikanischen und den Nato-Truppen ein schlechtes Zeugnis aus. Auch das Ansehen Deutschlands hat stark gelitten. Besonders deutlich ist dieser Trend im Einsatzgebiet der Bundeswehr im Nordosten Afghanistans.
Die Zahl der Befragten, die Anschläge auf Nato-Soldaten befürworten, hat im Einsatzgebiet der Bundeswehr mit 39 Prozent ein Allzeithoch erreicht. Sie liegt deutlich über dem ebenfalls gestiegenen landesweiten Wert (plus 19 auf 27 Prozent). Landesweit lag der Wert 2005 mit 30 Prozent schon einmal höher. Fast zwei Drittel der Afghanen halten Anschläge nicht für gerechtfertigt, im vergangenen Jahr waren das noch gut drei Viertel.
Nach der jährlichen Umfrage haben landesweit inzwischen 41 Prozent der Afghanen eine negative Meinung über Deutschland - so viele wie nie seit 2007, als die Frage das erste Mal gestellt wurde. 2009 lag der Wert noch bei 34 Prozent. Positiv über die Deutschen denken 56 Prozent der Befragten. Im Einsatzgebiet der Bundeswehr sind die Werte schlechter: Dort denkt erstmals nur noch eine Minderheit (46 Prozent) positiv über Deutschland. Im Sommer 2007 hatten noch drei Viertel der Menschen im Nordosten eine positive Meinung.
Landesweit sprechen erstmals mehr Afghanen dem Engagement der Deutschen eine negative (plus 9 auf 28 Prozent) als eine positive Rolle (minus 7 auf 25 Prozent) zu. Auch hier fällt der Wert im Nordosten noch schlechter aus: Hielten dort vor zwei Jahren noch 45 Prozent die Rolle Deutschlands für gut, hat sich der Wert auf 21 Prozent mehr als halbiert. Die Zahl der Kritiker hat sich in dieser Zeit von 8 auf 27 Prozent mehr als verdreifacht. Knapp die Hälfte der Befragten sieht Deutschlands Rolle neutral.
„Deutschland wird kaum noch als Verbündeter der Bevölkerung, sondern fast nur noch als ausländische Kriegspartei wahrgenommen“, sagte der stellvertretende Auslandschef des WDR, Arnd Henze, der die Umfrage betreute. „Punktuelle Erfolge im Kampf gegen die Taliban und beim Aufbau der afghanischen Armee werden pragmatisch registriert, aber die Köpfe und Herzen der Menschen erreicht das deutsche Engagement nicht mehr.“ Der Umfrage zufolge glauben immerhin 43 Prozent der Menschen im Nordosten, dass die Taliban geschwächt sind.
Trotz aller Schwierigkeiten glauben 59 Prozent der Afghanen, ihr Land sei auf dem richtigen Weg. Das ist zwar ein Minus von 11 Punkten verglichen mit 2009, aber immer noch ein Plus von 19 Punkten verglichen mit einem weiteren Jahr zuvor. Damals lag dieser Wert nur bei 40 Prozent. 64 Prozent der Befragten halten die Taliban für die größte Gefahr für ihr Land, gefolgt von Drogenhändlern (14 Prozent). Trotz der verbreitet negativen Meinung über die ausländischen Streitkräfte befürworten immer noch 62 Prozent der Afghanen die Anwesenheit der amerikanischen und 54 Prozent die der Nato-Truppen.
Der Sprecher der Nato-geführten Internationalen Schutztruppe Isaf, Josef Blotz, sagte der Nachrichtenagentur dpa, es gebe zwar „Hotspots“ in Afghanistan, in denen die Sicherheitslage schlecht sei. „Aber dieses Land steht keineswegs in Flammen.“ Der Bundeswehr-General verwies darauf, dass sich die Hälfte aller sicherheitsrelevanten Vorfälle in nur 9 von rund 400 Distrikten abspielten. In den betroffenen Bezirken lebten nur 5 Prozent der gesamten afghanischen Bevölkerung.
„Wir machen hier nicht auf Optimismus, aber es gibt Ansätze, die erfreulich sind“, sagte Blotz. „Wir haben gezeigt, dass Fortschritt möglich ist. Aber dieser Fortschritt ist noch zerbrechlich und noch nicht irreversibel. Weil es jetzt darauf ankommt, diese Entwicklung zu verfestigen, wird es von Isaf-Seite auch über den Winter kein Nachlassen des Drucks auf die Taliban geben.“
Die sechste Umfrage von ARD, ABC, BBC und „Washington Post“ basiert auf der Befragung von 1691 repräsentativ ausgewählten Afghaninnen und Afghanen in allen 34 Provinzen. Ihnen wurden im November von 98 weiblichen und 111 männlichen Interviewern des „Afghan Center for Socio-Economic and Opinion Research“ (ACSOR) rund 150 Fragen gestellt gestellt. Die Umfrage hat nach WDR-Angaben eine statistische Unschärfe von 3,5 Prozent.