Dem Fiskalpakt droht doch wieder eine Verzögerung
Berlin (dpa) - Die Zitterpartie um den europäischen Fiskalpakt und den Euro-Rettungsschirm ESM geht weiter. Nach langem Ringen schlossen Koalition, SPD und Grüne zwar einen Kompromiss, mit dem die Mehrheit im Bundestag gesichert sein dürfte.
Doch Bundespräsident Gauck wird die Gesetze wegen drohender Klagen vorerst nicht unterschreiben.
Die Eurokrise zwingt unterdessen zu weiteren Krisensitzungen. In Luxemburg kamen die Finanzminister der Eurogruppe zusammen, am Freitag reist Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu Gesprächen nach Rom. Der Kurs des Euro fiel am Donnerstag wegen der Unsicherheit um den Euro-Rettungsschirm ESM wieder unter die Marke von 1,26 US-Dollar.
Dem Verfassungsgericht in Karlsruhe sind unter anderem von der Linkspartei Klagen und Verfassungsbeschwerden gegen Fiskalpakt und ESM angekündigt worden. Nach Angaben des Präsidialamtes bat Karlsruhe deshalb den Bundespräsidenten, von einer Ausfertigung der Gesetze zunächst abzusehen. Der Bundespräsident wolle dieser Bitte aus Respekt gegenüber dem Bundesverfassungsgericht stattgeben.
Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte dazu, Merkel habe niemals mit Gauck über die Frage und den Zeitpunkt der Ausfertigung der Gesetze zum ESM und zum Fiskalpakt gesprochen. „Anderslautende Behauptungen entsprechen nicht den Tatsachen.“ Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte zuvor berichtet, der Entscheidung Gaucks sei heftiges Gezerre hinter den Kulissen vorausgegangen. Demnach wollte Gauck zunächst auf Drängen von Merkel die Gesetze unmittelbar nach der Abstimmung im Bundestag und Bundesrat unterzeichnen.
Praktische Auswirkungen dürfte eine mögliche Verzögerung aber zunächst aber nicht haben. Die EU-Kommission rechnet ohnehin damit, dass der ESM erst Mitte Juli seine Arbeit aufnehmen kann, da ihn viele Länder noch nicht ratifiziert hätten. In der Bundesregierung hieß es, ein Aufschub von Gaucks Unterschrift ändere nichts an der Absicht, dass der Bundestag ESM und Fiskalpakt am 29. Juni ratifiziere. Von anderer Seite war zu hören, man rechne allenfalls mit einer Verzögerung von wenigen Tagen. Bei dem von der Linkspartei angestrebten Eilverfahren gehe es zunächst nur darum, ob eine Klage überhaupt Aussicht auf Erfolg habe.
Merkel hatte sich vor der Wortmeldung aus Karlsruhe bei einem Treffen im Kanzleramt mit den Spitzen von SPD und Grünen auf die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in Europa bis Ende 2012 und auf zusätzliche Wachstumsimpulse verständigt. Am Sonntag soll mit den Bundesländern eine Einigung erreicht werden. Damit wäre der Weg für die nötige Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat frei.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel erwartet noch schwierige Verhandlungen zwischen Bund und Ländern. Die Länder fordern unter anderem eine Entlastung bei den Milliardenkosten für die Eingliederung von Behinderten. „Ich kann es mir nicht anders vorstellen, als dass der Bund den Ländern Belastungen abnimmt“, betonte Gabriel.
Der vereinbarte „Pakt für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung“ ist zentrale Voraussetzung für ein Ja von SPD und Grünen im Bundestag. Die Regierung sichert zu, sich für die rasche Einführung einer Steuer auf Finanzmarktgeschäfte in Europa einzusetzen. Die Einigung sieht auch Vereinbarungen für Wachstumsimpulse, zusätzliche Investitionen und Arbeitsplätze in Europa vor.
Da eine Zustimmung aller 27 EU-Mitgliedsländer für eine Finanztransaktionssteuer nicht erreichbar ist, will die Regierung beim EU-Gipfel Ende nächste Woche die Einführung einer solchen Steuer in weniger Ländern beantragen. Dafür sind mindestens neun EU-Länder notwendig. Das Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene solle „möglichst bis Ende des Jahres 2012 abgeschlossen werden“ können. Negative Folgen für die Altersversorgung, Kleinanleger und Realwirtschaft sollen vermieden werden, ebenso Ausweichreaktionen.
Die Finanzminister der Eurozone kamen am Donnerstagnachmittag in Luxemburg zu einer Sitzung zusammen. Dort sagte der spanische Wirtschaftsminister Luis de Guindos, die Regierung in Madrid werde ihren offiziellen Antrag auf europäische Milliardenhilfen erst in den nächsten Tagen stellen. Zunächst müssten die Ergebnisse zweier unabhängiger Untersuchungen über den Bankensektor abgewartet werden. Die Eurogruppe hatte bereits Hilfen von bis zu 100 Milliarden Euro zugesagt - der genaue Betrag steht aber noch nicht fest.
In Luxemburg sollte auch über die Lage in Griechenland nach Bildung der neuen Regierung unter Antonis Samaras gesprochen werden. Wie es aus Athen hieß, will Griechenland für eine Lockerung der harten Sparauflagen werben. Athen will angesichts des Niedergangs seiner Wirtschaft zwei Jahre mehr Zeit für die Umsetzung. Zudem soll die Rückzahlung der Hilfen statt 2015 erst 2017 beginnen.
Am Freitag wollen die Spitzen der vier größten Volkswirtschaften der Eurozone in Rom nach Lösungen für die Schuldenkrise und die Rettung Griechenlands suchen. Italiens Regierungschef Mario Monti hat Bundeskanzlerin Merkel, den neuen französischen Präsidenten François Hollande und den spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy zu einem Vierer-Gipfel eingeladen.