Demokratie per Armee-Dekret
Die Übergangsphase soll — so plant es die Armee — sechs Monaten dauern. Berufsgruppen nutzen das Machtvakuum für ihre Belange.
Kairo. Ägypten teilt sich in diesen aufregenden Tagen des Wandels in fünf verschiedene Bevölkerungsgruppen: Die Dauerjubel-Fraktion, die ewig Besorgten, die Nutznießer der Revolution, die Verlierer und die Strategen. Eher klein ist die Gruppe der Strategen, die jetzt schon Pläne für die kommenden Wahlen in der Schublade haben.
Die Übergangsphase soll — so plant es die Armee — sechs Monaten dauern. In dieser kurzen Zeit wird es für Nachwuchspolitiker und neue Parteien nicht einfach sein, sich als Alternative zum Mubarak-Staat zu etablieren.
Der Freudentaumel hält vor allem bei den Jüngeren nach wie vor an. Viele von ihnen können es immer noch gar nicht fassen, dass der Präsident, dessen Reden und Fotos sie von Geburt an begleitet hatten, jetzt als Rentner in einem Ferienhaus sitzt. Gleichzeitig legt diese Gruppe großen Wert darauf, dass alle Parteifunktionäre, Polizeioffiziere, Geschäftsleute und Schläger vor Gericht gestellt werden, die an den Gewaltexzessen gegen Demonstranten beteiligt gewesen waren.
Die zweite wichtige Forderung dieser Gruppe, zu der unter anderem die Jugendbewegung 6. April gehört, ist die Freilassung aller politischen Gefangenen. Pläne für die Gründung neuer Parteien oder eine konkrete Vision jenseits von Appellen für mehr Demokratie und Rechtstaatlichkeit fehlt dieser Gruppe bislang.
Die Besorgten, die sich an den Protesten gegen Mubarak und den korrupten Parteiapparat der NDP aus Angst vor Gewalt und Anarchie nicht beteiligt hatten, wünschen sich einfach, dass die Übergangsphase ohne Blutvergießen und weiteren Schaden für die Wirtschaft abläuft.
Sie sind schon früher nie zur Wahl gegangen und sehen die Entwicklung unter dem Primat der Stabilität. Zu dieser Gruppe gehören Geschäftsleute, die um ihr Erspartes fürchten.
Groß ist die Gruppe der potenziellen Nutznießer der Revolution, die jetzt alle Forderungen, die sich bei ihnen in den vergangenen Jahren angestaut haben, auf einmal loswerden wollen.
Zu dieser Gruppe gehören Polizisten, die sich von ihren Vorgesetzten erniedrigt fühlten, Journalisten, deren Aufstieg behindert wurde, weil sie der Regierungspartei kritisch gegenüberstanden, Krankenschwestern, die ihre Gehälter zu niedrig finden und ehemalige Regierungsbeamte, die nun auf ein politisches Comeback hoffen.
Die Verlierer der Revolution, die Parteifunktionäre, Mitläufer und korrupten Geschäftsleute, sind in diesen Tagen auf Tauchstation gegangen. Selbst der sonst immer recht kampfeslustige Außenminister Ahmed Abul Gheit, der Mubarak bis zuletzt die Treue hielt, schweigt. Die Website der Nationaldemokratischen Partei (NDP), die durch die Auflösung des Parlaments von der Armee genauso entmachtet wurde wie zuvor schon der starrsinnige Präsident, ist tot.
Zu den wenigen Strategen, die sich jetzt schon auf die nächsten Wahlen vorbereiten, gehören die alten Oppositionsparteien, einige Politiker, die sich in den vergangenen 20 Jahren von Mubarak distanziert hatten und die Muslimbrüder.