Drohgebärden nach Berlusconis Verurteilung: Letta ruft zur Vernunft
Rom (dpa) - Das erste rechtskräftige Urteil gegen Silvio Berlusconi sorgt für politischen Wirbel in Italien. Die Minister und Parlamentarier seiner Partei PdL (Volk der Freiheit) sind zu einem Rücktritt bereit, sollte es nicht noch eine Lösung für ihren Chef geben.
Das erklärte PdL-Parteichef Angelino Alfano am Freitagabend bei einer Krisensitzung der Regierungspartei in Rom, wie die römische Tageszeitung „La Repubblica“ berichtete. Solche Drohungen hatte es bereits vor der Verurteilung Berlusconis gegeben, nun wurde ein konkretes Ziel genannt: Staatspräsident Giorgio Napolitano soll so aufgefordert werden, eine Amnestie für Berlusconi auszusprechen.
Zuvor hatte Italiens Regierungschef Enrico Letta, der von einer Koalition aus Berlusconis konservativer PdL und der linken Demokratischen Partei (PD) getragen wird, die Parteien zur Vernunft aufgerufen und an ihre Verantwortung appelliert. Er hoffe, dass sich die Interessen des Landes in diesem heiklen Augenblick durchsetzten und die Regierung nicht zermürbt werde, sagte Letta in Rom. Er warnte: „Ich werde nicht um jeden Preis weitermachen, das wäre auch nicht im Interesse Italiens.“
Sollten die PdL-Politiker ihre Drohung wahr machen, wäre die Regierung am Ende. Offen blieb am Freitag, ob sie dies tatsächlich tun. Bei dem Treffen seiner PdL soll Berlusconi, die Leitfigur des rechten Lagers, zwar von möglichen baldigen Neuwahlen gesprochen haben. Er habe aber auch deutlich gemacht, dass die Interessen des Landes jetzt vorgehen müssten, hieß es. „Keine übereilten Entscheidungen“, habe Berlusconi gesagt, wurde Reform-Minister Gaetano Quagliariello nach der Sitzung zitiert.
Berlusconis Partei stellt fünf Minister, der 76-Jährige selbst ist nicht Kabinettsmitglied. Bei den Linken gibt es viel Widerstand gegen die Zusammenarbeit mit Berlusconi, der mit dem Schuldspruch wegen Steuerbetrugs ein verurteilter Straftäter ist. Ihm droht noch in diesem Jahr der Verlust seines Senatorenmandates. Im Verlauf des Freitag hatten sich beide Regierungsparteien gegenseitig aufgefordert, verantwortungsbewusst zur Koalition zu stehen und die Politik des Krisenlandes von dem Schuldspruch gegen Berlusconi zu trennen.
Der langjährige Regierungschef hatte nach der Urteilsverkündung verbittert das definitive Gerichtsurteil angeprangert. „Niemand kann die Gewaltattacke verstehen, die mir mit einer Reihe von Prozessen und Anklagen beschert wurde“, sagte er in einer Videobotschaft nach seiner Verurteilung zu vier Jahren Haft wegen Steuerbetrugs. Ein Teil der Richter sei „verantwortungslos“, die Prozesse gegen ihn nannte er eine „wirkliche und wahre juristische Verbissenheit“ ohnegleichen.
Berlusconi kündigte an, seinen „Kampf für die Freiheit“ fortzusetzen und seine Partei „Forza Italia“, mit der er vor knapp 20 Jahren in die Politik eingestiegen war, neu aufleben lassen. Diese Aktivitäten werteten politische Beobachter als mögliche frühe Anzeichen eines Wahlkampfes mit der Aussicht auf vorgezogene Wahlen nach einer angestrebten Wahlrechtsreform.
Berlusconis Anwälte nahmen das Urteil wegen Steuerbetrugs gegen ihren Mandanten mit „Bestürzung“ auf. „Wir werden jeder Möglichkeit folgen, auch auf europäischer Ebene, um sicherzustellen, dass dieses ungerechte Urteil grundlegend geändert wird“, teilten sie mit. Trotz der Verurteilung muss Berlusconi nicht ins Gefängnis. Drei der vier Jahre werden ihm nach einem Gesetz von 2006 erlassen. Den Rest kann er aus Altersgründen in Sozialstunden ableisten oder im Hausarrest. Er wird sich bis Mitte Oktober dazu äußern müssen. Sein Reisepass wird eingezogen. Ob er seinen Diplomatenpass als früherer Regierungschef abgeben muss, entscheidet das Außenministerium in Rom.