Ende der Staatskrise in Belgien in Sicht
Brüssel (dpa) - In Belgien rückt ein Ende der fast eineinhalb Jahre andauernden politischen Krise näher. Sechs Parteien einigten sich in einem 17 Stunden langen Verhandlungsmarathon auf ein milliardenschweres Sparpaket sowie Strukturreformen.
Damit sind die Streitpunkte in den Koalitionsgesprächen aus dem Weg geräumt. König Albert II. beauftragte den designierten Premierminister Elio Di Rupo am Samstag damit, „so rasch wie möglich“ eine neue Regierung zu bilden. Belgien ist seit Juni 2010 ohne gewählte Regierung - ein Weltrekord.
Die Koalitionsregierung könnte schon in den nächsten Tagen stehen, sagte die sozialistische Vizepremierministerin Laurette Onkelinx. Di Rupo erklärte, man habe eine „entscheidende Etappe“ zur Bildung einer Regierung geschafft. Am Verhandlungstisch sitzen neben den Sozialisten auch Liberale und Christdemokraten aus beiden Teilen des Landes - dies sind Flandern und die Wallonie.
Nicht beteiligt sind die flämischen Nationalisten der Partei N-VA, die bei den Wahlen vom Juni unter Führung von Bart De Wever zur stärksten politischen Kraft des Landes geworden waren. De Wever, der einen eigenen Staat Flandern fordert, hatte als Verhandlungsführer mögliche Kompromisse mehrfach blockiert.
Das Sparpaket umfasst Einschnitte in Milliardenhöhe im Haushalt für die Jahre 2012 bis 2014. Im kommenden Jahr würden 11,3 Milliarden Euro eingespart, was rund 10 Prozent des Haushalts entspräche, sagten mehrere Parteichefs übereinstimmend. Dazu würden auch langfristige Strukturreformen am Arbeitsmarkt und bei den Renten beitragen, teilte Di Rupo mit. Höhere Steuern auf Aktiengeschäfte und ein Solidaritätszuschlag für hohe Einkommen sorgten für mehr Einnahmen.
Das Budget erfüllt nach Worten des französischsprachigen Sozialdemokraten Di Rupo die Anforderungen der Europäischen Union: „Der Haushaltsplan wird das Defizit 2012 auf 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts drücken.“ Erlaubt sind in der EU drei Prozent. 2015 soll der Haushalt nach den Plänen ausgeglichen sein. Dazu sollen auch höhere Steuern auf Aktiengeschäfte und eine Sonderabgabe für hohe Einkommen beitragen.
Erst unter dem Druck der Finanzmärkte waren die tagelang unterbrochenen Gespräche über das Budget am Freitagabend wieder gestartet. Die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) hatte die Kreditwürdigkeit Belgiens um eine Note gesenkt und dies unter anderem mit dem politischen Stillstand begründet. Seit Sommer 2010 verwaltet der zuvor zurückgetretene Premierminister Yves Leterme die Regierungsgeschäfte, doch wichtige Reformen konnten nicht angegangen werden.
König Albert II. ließ in einer Stellungnahme des Palastes erklären, er sei über die Einigung erfreut. Der Vorsitzende der französischsprachigen Liberalen, Charles Michel, sprach von „einem großen Moment der Erleichterung.“ Der scheidende Vorsitzende der Partei der Europäischen Sozialdemokraten (PES), der Däne Poul Nyrup Rasmussen, gratulierte bei einer Parteiveranstaltung in Brüssel. Belgien habe sich „soliden öffentlichen Finanzen und einem nachhaltigen Finanzplan verpflichtet.“
Seit September war bereits der wichtigste Streitpunkt vom Tisch: Damals war eine Einigung auf eine umfassende Staatsreform gelungen, in deren Mittelpunkt das Wahlrecht im Umland von Brüssel stand. Der Sprachenstreit zerreißt seit Jahren das Land und hatte 2010 zum Sturz der Regierung geführt.
Albert II. hatte schon vor Monaten Di Rupo mit der Suche nach einer Regierungsmehrheit beauftragt. Seine Mission gestaltete sich schwierig, mehrfach warf er das Handtuch - auch, um den Druck für eine Einigung zu erhöhen.