Flucht nach vorn: Brasiliens Präsidentin will Reform

Brasília (dpa) - Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff setzt nach den tagelangen Massenprotesten in ihrem Land auf politische Reformen und einen stärkeren Kampf gegen Korruption. Die Ankündigung folgte einem Treffen mit Vertretern der Protestbewegung.

Rousseff schlug fünf Reformpakte vor. Unter anderem sollen der öffentliche Nahverkehr, das Gesundheitssystem und das Bildungswesen verbessert werden. Mit Blick auf ein Hauptanliegen der Protestbewegung machte Rousseff klar, dass sie Korruption als schweres Delikt geahndet sehen wolle, das schärfer bestraft werde. Es sei notwendig, die Gesetze zu verschärfen.

Rousseff hatte am Montag Gouverneure und Bürgermeister in Brasília sowie Vertreter der Protestbewegung empfangen. Die Anführer der Protestbewegung aus São Paulo zeigten sich enttäuscht von der Begegnung. Der Dialog sei ein wichtiger Schritt, aber Rousseff habe zu wenige „konkrete Vorschläge“ gemacht, sagte Mayara Vivian von der Gruppe „Movimiento Pase Libre“ der Tageszeitung „Folha de São Paulo“. Die Gruppe hatte mit Demonstrationen gegen Preiserhöhungen in öffentlichen Verkehrsmitteln die landesweite Protestwelle losgetreten. Sie fordert kostenlose öffentliche Verkehrsmittel. Wenn Geld für Fußballstadien da sei, dann müsse es auch dafür Mittel geben, so die Aktivistin.

Roussef kündigte 50 Milliarden Reais (16 Mrd. Euro) für neue Investitionen im öffentlichen Nahverkehr an. Unklar blieb zunächst, ob diese Summe bereits beschlossene Investitionen umfasst. Im Gesundheitswesen sollten existierende Investitionsvorhaben beschleunigt werden. Rousseff will zudem eine Volksabstimmung, die über die Einberufung einer Verfassungsversammlung entscheidet. Ziel ist eine Politikreform. „Brasilien ist reif, um weiter zu gehen, und hat bereits klar gemacht, dass es nicht stehenbleiben wird“, sagte sie.

„Das Volk ist auf der Straße und will, dass die Änderungen weiter gehen. Die (Menschen auf den) Straßen sagen uns, dass sie öffentliche Dienstleistungen mit Qualität wollen, dass sie eine durchlässige politische Vertretung wollen. Sie wollen, dass der Bürger und nicht die wirtschaftliche Macht an erster Stelle steht“, sagte Rousseff.

Eine Volksabstimmung könnte am 7. September oder 15. November stattfinden, sagte Bildungsminister Aloizio Mercadante. Beide Tage sind gesetzliche Feiertage. Das letzte Wort über eine Volksabstimmung habe aber der Kongress, der auch den Termin festlegt, betonte der Minister. Der Oppositionspolitiker und mögliche Präsidentschaftskandidat Aécio Neves warf Rousseff vor, den Kongress übergehen zu wollen: „Es liegt in der ausschließlichen Kompetenz des Kongresses, eine Volksabstimmung einzuberufen.“

Die Demonstrationen am Montag wurden von zwei Todesfällen überschattet. Zwei Frauen wollten bei Cristalina, rund 130 Kilometer von Brasília entfernt, eine Straße mit Autoreifen blockieren, als sie von einem Wagen erfasst und tödlich verletzt wurden. Der Fahrer des Wagens flüchtete. Damit kamen bislang vier Menschen bei den Protesten ums Leben. Keines der Opfer starb aber bei Auseinandersetzungen mit der Polizei, die in vielen Fällen mit massiver Gewalt gegen die Demonstranten vorgegangen war.

In Porto Alegre im Süden des Landes gingen am Montag 10 000 Menschen auf die Straße. Am Rande der Demonstration kam es zu Krawallen und Zusammenstößen mit der Polizei. 15 Menschen wurden festgenommen. Auch aus São Luís im Nordosten wurden Auseinandersetzungen zwischen gewaltbereiten Demonstranten und der Polizei gemeldet.

Im Großraum von Belo Horizonte (Bundesstaat Minas Gerais), wo am Mittwoch das erste Halbfinal-Spiel des Confederations Cups zwischen Brasilien und Uruguay angepfiffen wird, blockierten Demonstranten am Montag mehrere wichtige Verbindungsstraßen.