Gewalt in der Ostukraine tobt weiter
Moskau/Kiew (dpa) - Nach der Freilassung der entführten Militärbeobachter gleitet die Ostukraine zunehmend in bürgerkriegsähnliche Zustände ab. Mit Kampfhubschraubern und Panzerfahrzeugen gingen Regierungstruppen am Sonntag erneut gegen prorussische Separatisten vor, es gab Tote und Verletzte.
Der „Anti-Terror-Einsatz“ werde fortgesetzt, kündigte Innenminister Arsen Awakow in Kiew an. Moskau befürchtet eine Großoffensive der ukrainischen Sicherheitskräfte und rief den Westen auf, Kiew davon abzuhalten. Die Bundesregierung verteidigte die Entsendung ihrer am Wochenende überraschend freigelassenen Militärbeobachter in die Kampfzone.
In einem Krisentelefonat mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte Russlands Präsident Wladimir Putin nach Kreml-Angaben von Sonntag einen Dialog zwischen der Zentralmacht in Kiew und den Protestführern.
Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern der prowestlichen Regierung in Kiew gehen auf andere Landesteile über. In der Schwarzmeermetropole Odessa stürmte eine mit Knüppeln bewaffnete Menge am Sonntag den örtlichen Sitz der Polizei, um moskautreue Gesinnungsgenossen zu befreien. Spezialeinheiten drängten die Angreifer laut örtlichen Medienberichten zuerst zurück. Unter dem Druck der Demonstranten ließ die Polizei dann aber doch nach offiziellen Angaben 67 Personen frei.
Bereits am Freitag lieferten sich die Kontrahenten in Odessa schwere Straßenschlachten. Dabei wurde das zentrale Gewerkschaftshaus in Brand gesetzt, wo Dutzende Menschen starben. Die Staatsanwaltschaft zählte insgesamt 46 Tote und 214 Verletzte.
Angesichts der nicht enden wollenden Gewalt streiten Russland und die ukrainische Führung darüber, wer dafür verantwortlich ist. Kiew verantworte ein „Blutvergießen, das schießende Truppen an unbewaffneten Menschen“ anrichteten, erklärte das Außenamt in Moskau. Awakow sagte jedoch: „Wir werden weiter gegen Extremisten und Terroristen vorgehen, die Gesetze ignorieren und das Leben der Bürger gefährden.“
Gemeint sind die prorussischen Aktivisten, die mehr Autonomie für die Regionen im Osten der früheren Sowjetrepublik fordern. Seit Wochen halten die zum Großteil bewaffneten Kräfte in der Region Dutzende Verwaltungsgebäude besetzt, sie haben zudem eine „Volksrepublik Donezk“ ausgerufen.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wirbt zur Beilegung des Konflikts für eine zweite Genfer Konferenz. Die ursprünglichen Vereinbarungen der USA, Russlands, der Ukraine und der EU - darunter Gewaltverzicht und Entwaffnung aller illegal Bewaffneten - sind bisher nicht umgesetzt worden. Es sei daher nötig, „dass man dem ersten Genfer Treffen jetzt ein zweites Genfer Treffen folgen lässt, in dem endlich klare Verabredungen getroffen werden, wie man diesen Konflikt zum Stillstand bringt und nach und nach einer politischen Lösung zuführt“, sagte Steinmeier im ARD-„Bericht aus Berlin“.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen rechtfertigte die Entsendung der unbewaffneten Militärbeobachter in die umkämpfte Region. Die CDU-Politikerin wies Vorwürfe zurück, die Mission unter Leitung von Bundeswehroberst Axel Schneider sei zu riskant gewesen. Die Bundesregierung dürfe sich „nicht einschüchtern lassen“, sagte sie am Samstagabend im „heute journal“.
Nach acht Tagen Geiselhaft war das in Slawjansk festgesetzte Team am Samstag freigekommen. Die Männer, unter ihnen vier Deutsche, landeten abends an Bord einer Bundeswehr-Maschine in Berlin. Dem Team gehörten auch ein Tscheche, ein Däne und ein Pole an. Fünf Ukrainer, die das Inspektorenteam begleitet hatten, wurden von der Bundeswehrmaschine in Kiew abgesetzt. Ein kranker Schwede war schon vor einigen Tagen freigekommen.
Der Leiter der Mission, Oberst Schneider, äußerte sich erleichtert. „Von uns fällt im Moment ein beträchtlicher Druck“, sagte Schneider. Es sei immer bedrohlicher geworden. Nach Beginn der jüngsten Offensive von Regierungseinheiten sei sprichwörtlich das Feuer von Handwaffen und von Artillerie immer näher gekommen.
CSU-Vizechef Peter Gauweiler kritisierte, die Aktivitäten von Bundeswehrsoldaten in der Ostukraine - zeitgleich und außerhalb der diplomatischen OSZE-Sondermission - seien nicht im deutschen Interesse. So lasse sich Deutschland „in plumper Weise“ noch tiefer in den Konflikt hineinziehen, sagte er dem „Spiegel“.
Der Obmann der Linksfraktion im Verteidigungsausschuss, Alexander Neu, sagte der dpa, bis heute habe die Bundesregierung nicht plausibel dargestellt, was eigentlich unbewaffnete Bundeswehrangehörige in einem Krisengebiet zu suchen hatten. Offen sei auch, was die Beobachter ausgerechnet in Slawjansk inspizieren wollten. „Diese Mission war ein schwerer politischer Fehler, für die die Bundesregierung die Verantwortung trägt“, bilanzierte er. Die Linke werde im Parlament Aufklärung verlangen.
Der SPD-Verteidigungsexperte Lars Klingbeil forderte einen Bericht des Verteidigungsministeriums. Fraglich sei, ob die Militärbeobachter im Sinne des Wiener Dokuments wirklich die Aufgabe hatten, nach Slawjansk zu fahren, sagte er der „Bild“-Zeitung (Montag).