Kein Ende der Gewalt in der Türkei
Istanbul (dpa) - In der Türkei schaukelt sich die Gewalt bei den Protesten gegen die Regierung gefährlich hoch. Regierungschef Erdogan setzt weiter auf eine „harte Hand“.
Die Polizei ging in der Nacht zum Montag wieder gegen regierungskritische Demonstranten vor. In Ankara setzten Sicherheitskräfte Wasserwerfer und Tränengas gegen Gegner der islamisch-konservative Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ein. Innenminister Muammer Güler drohte mit verschärfter Strafverfolgung von Internet-Aktivisten sowie Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes, die sich an Demonstrationen oder den für Montag ausgerufenen Streiks beteiligen.
In Istanbul hinderte die Polizei Zehntausende Demonstranten gewaltsam daran, zum zentralen Taksim-Platz zu ziehen. Aktivisten berichteten, die Polizei habe auch ein Krankenhaus in der Nähe des Taksim-Platzes mit einem Wasserwerfer angegriffen, nachdem sich Demonstranten dorthin geflüchtet hatten.
Die Polizei nahm zuvor bereits bei den heftigen Protesten nach der Räumung des Gezi-Parkes Hunderte Menschen fest. Allein in Istanbul seien mindestens 441 Menschen in Gewahrsam, zitierten türkische Medien am Montag einen Mitarbeiter der Rechtsanwaltkammer (TBB).
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisierte, die Sicherheitskräfte in Istanbul seien aus ihrer Sicht „viel zu hart vorgegangen“. Vor ihrer Abreise zum G8-Gipfel der großen Industrienationen und Russlands sagte Merkel dem Fernsehsender RTL: „Das, was im Augenblick in der Türkei passiert, entspricht nicht unseren Vorstellungen von Freiheit der Demonstration, der Meinungsäußerung.“ Zu den Fernsehbildern von der Räumung des Gezi-Parks in Istanbul sagte sie: „Ich bin erschrocken, wie viele andere Menschen auch.“
Fünf Gewerkschaftsverbände riefen aus Protest zu landesweiten Streiks und Demonstrationen auf. Güler drohte dem öffentlichen Dienst mit Konsequenzen: „Diese Demonstrationen dieser fünf Gewerkschaften sind nicht legal. Wie können wir diese Demonstrationen erlauben?“, zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu den Minister. Er kündigte zudem an, wer Meinungsmache betreibe und zu Demonstrationen über Twitter und Facebook aufrufe, werde verfolgt. In den vergangenen Woche hatte es bereits mehrere Festnahmen gegeben.
Nach zweieinhalb Wochen scheint die Gewalt nahezu täglich zu eskalieren. Erstmals sollen Erdogan-Anhänger Demonstranten attackiert haben. Aktivisten der Opposition berichteten im Internet, dass die Demonstranten auch von Männern mit Knüppeln und Messern angegriffen worden seien. Diese Bewaffneten hätten Parolen für Erdogan gerufen, die Polizei habe nicht eingegriffen. Anhänger der Regierung attackierten nach Medienberichten auch ein Büro der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) in Istanbul.
Der Hamburger Filmregisseur Fatih Akin („Gegen die Wand“) rief den türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül in einem offenen Brief auf, die Gewalt in seinem Land zu beenden. „Ich appelliere an Ihr Gewissen: Stoppen Sie diesen Irrsinn!“, heißt es in dem auf Deutsch und Türkisch verfassten Schreiben.