Koppelt sich Ungarn vom Westen ab?
Die neue Abgabe erzürnt nicht nur die digitale Generation. Der autoritäre Kurs der Regierung stößt auch die EU vor den Kopf.
Budapest. In den kommenden Wochen wird das ungarische Parlament voraussichtlich die Einführung einer in Europa einzigartigen Abgabe beschließen. Die neue Internet-Steuer soll jeden Datenverkehr mit umgerechnet 50 Euro-Cent pro angefangenem Gigabite belasten.
Nach der massiven Protestkundgebung empörter Internet-Nutzer am vergangenen Sonntag besserte die Fraktion der rechts-konservativen Regierungspartei Fidesz den Gesetzesvorschlag nach. Die Abgabenlast soll nun „gedeckelt“ werden, so dass die privaten Nutzer mit maximal 3,50 Euro, Firmenkunden mit 17,60 Euro im Monat belastet werden.
Doch die Steuer als solche bleibt — trotz der massivsten Kundgebung gegen die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban seit mehr als zwei Jahren. Auf die Internet-Dienstleister kommen neue Verwaltungslasten zu, denn sie müssen die Abgabe für jeden einzelnen Kunden feststellen und ans Finanzamt abführen.
Viele stellen auch die Frage nach den Absichten, die hinter dieser Behinderung der Digitalisierung stecken könnten. Oder wie es der 20-jährige Student Ferenc Szabo formulierte: „Eine Regierung, die sich so etwas ausdenkt, muss in ihrem Innersten modernisierungs- und innovationsfeindlich sein.“
Doch Regierungschef Orban hat schon mehrfach Handlungen gesetzt, die Zweifel an der Vereinbarkeit mit westlichen Werten aufkommen ließen. Seit 2010 regiert er mit einer verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit über das EU- und Nato-Land. Seine Macht nutzte er, um repressive Mediengesetze durchzusetzen, verfassungsmäßige Kontrollinstanzen auszuschalten und die Wahlordnungen an seine Bedürfnisse anzupassen. In einer viel beachteten Rede im Juli bekannte er sich zum „Aufbau der illiberalen Demokratie“ und bezeichnete Russland, China und die Türkei als Vorbilder.
Zahllos sind auch die Konflikte, die sich Orban wegen seines autoritären Kurses mit der EU einhandelte. Kritische Nicht-Regierungsorganisationen wurden zuletzt mit Razzien und der Suspendierung der Steuernummern drangsaliert — auch das Methoden, die an russische Bräuche erinnern und mit den Demokratiestandards der Union nicht zu vereinbaren sein dürften.
André Goodfriend, der US-Geschäftsträger in Budapest, beschrieb den Tiefpunkt im ungarisch-amerikanischen Verhältnis mit ungewöhnlicher Offenheit. Die Entwicklung in Ungarn weise eine „sich zunehmend verschlechternde Tendenz“ auf, sagte er neulich. „Dies kann einmal einen Punkt erreichen, an dem wir mit Ungarn nicht mehr wie mit einem Verbündeten zusammenarbeiten können“, fügte er hinzu.
Aus Orbans Umgebung kommen hingegen eher verstörende Signale. Parlamentspräsident Laszlo Köver, ein alter Weggefährte des Regierungschefs, warf der EU und der Nato vor wenigen Tagen vor, dass die „transatlantische Welt moralisch am Ende“ sei. „Wenn das die Zukunft der EU ist“, fuhr er fort, „dann lohnt es sich darüber nachzudenken, wie wir da schön langsam rauskommen können.“