Libyen stürzt immer weiter ins Chaos
Tripolis/Berlin (dpa) - Libysche Milizen bekämpfen sich ohne Rücksicht auf Verluste. Zwei Raketen lösen in einem Benzinlager in Tripolis einen Großbrand aus. Anwohner fliehen. Viele Diplomaten verlassen das Land.
Die seit zwei Wochen andauernden Kämpfe zwischen verfeindeten Milizen haben Libyen am Montag weiter ins Chaos abrutschen lassen. Bei schweren Gefechten in der Hauptstadt Tripolis schlugen Medienberichten zufolge auch zwei Raketen in ein riesiges Benzinlager ein. Einer von mehreren großen Tanks fing Feuer. Die lokalen Feuerwehren seien angesichts des Flammeninfernos machtlos und hätten sich aus Angst vor weiteren Explosionen zurückgezogen, berichtete die Zeitung „Libya Herald“. Anwohner ergriffen die Flucht. Unterdessen zogen zahlreiche europäische Staaten - darunter auch Deutschland - ihre Diplomaten aus dem nordafrikanischen Krisenland ab.
Die erste Rakete war in der Nacht zum Montag in das Depot des Brega Öl- und Gasunternehmens eingeschlagen. Am Dienstag folgte ein weiteres Geschoss, obwohl die Regierung bewaffnete Gruppen eindringlich zu einer Feuerpause in dem Gebiet aufgerufen hatte. Verletzt wurde demnach niemand, da Feuerwehr und Zivilschutz aus Angst vor Explosionen ihre Löscharbeiten bereits eingestellt hatten. Anwohner innerhalb eines Fünf-Kilometer-Radius wurden aus Furcht vor massiven Detonationen aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen.
Insgesamt sind in der Anlage 90 Millionen Liter Benzin gelagert, wie „Al-Wasat“ unter Berufung auf die libysche National Oil Company (NOC) schrieb. In Tripolis kämpfen Milizen aus den Städten Al-Sintan und Misrata seit Wochen um den internationalen Flughafen. Sie hatten einst als Revolutionsbrigaden den Aufstand gegen den 2011 gestürzten Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi angeführt. Sie weigern sich, ihre Waffen einzugeben oder Befehlen der libyschen Regierung zu folgen. Der UN-Missionschef Tarek Mitri sprach zu Beginn der jüngsten Kämpfe bereits von einer Entscheidungsschlacht der beiden größten Milizen des Landes.
Wegen der Eskalation riefen neben Deutschland unter anderem Frankreich, Spanien, Großbritannien, Polen, Österreich, Dänemark und die Niederlande ihre Staatsbürger zur sofortigen Ausreise auf. „Wir haben evakuiert“, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts am Montag. Die deutsche Botschaft sei jedoch nicht geschlossen worden. Mehrere Ortskräfte sind dort nach wie vor tätig. Das Außenministerium wollte keine Auskunft darüber geben, wie viele deutsche Diplomaten außer Landes gebracht wurden und auf welchem Weg dies geschah. Die Botschaft war seit längerem nur noch spärlich besetzt. Wegen der Kämpfe und der Gefahr von Entführungen hatte das Auswärtige Amt schon am Wochenende alle Deutschen aufgerufen, Libyen sofort zu verlassen.
Angehörige der US-Botschaft waren in der Nacht zum Samstag ebenfalls auf dem Landweg nach Tunesien ausgereist. Denn der wichtigste Flughafen in Tripolis ist nach Raketeneinschlägen massiv beschädigt und geschlossen. Der Militärflughafen Mitiga ist laut libyscher Regierung ebenfalls in Milizenhand und damit nicht mehr sicher.
Der seit mehr als 60 Jahren in Libyen tätige deutsche Erdölproduzent Winterhall hat nach Angaben des Sprechers Stefan Leunig bereits nach einer Sicherheitswarnung Ende Mai entschieden, „alle verbliebenen internationalen Mitarbeiter temporär ebenfalls von anderen Standorten außerhalb Libyens weiterarbeiten zu lassen“.