Nach dem Anschlag Nizzas Promenade des Anglais wird zum Weg der Trauer

Die Menschen trauern. Sie weinen. Sie verarbeiten die Tat vom 14. Juli. Nizza trauert. Der Schmerz scheint mit den Tagen eher größer zu werden.

Überall auf der Promenade des Anglais erinnern Blumen an das schreckliche Geschehen.

Foto: Andreas Gebert

Nizza. Der Gang über die Promenade des Anglais ist für die Menschen in Nizza zur Trauerprozession geworden. Es ist leise dort, wo sonst Ausgelassenheit und Urlaubsfreude herrschen. Auf der Straße, auf der am Donnerstag mehr als 80 Menschen brutal getötet und über 300 verletzt wurden, liegen Blumen. Kerzen sind aufgestellt, oft neben Plüschtieren. Viele Trauernde haben Botschaften auf Zetteln hinterlassen. Einheimische wie Touristen verarbeiten auch am Sonntag noch immer die schrecklichen Geschehnisse, die Panik, die Todesangst. Sie weinen.

Die Stadt habe die „schlimmste Tragödie seit dem 2. Weltkrieg erlebt“, schreibt der Präsident der Region und ehemalige 1. Bürgermeister von Nizza, Christian Estrosi, in einem Offenen Brief. Der 61-Jährige macht darin Frankreichs Regierung mit Präsident François Hollande schwere Vorwürfe.

Seit zwei Jahren fordere er neue Mittel im Kampf gegen den Terror. Seit zwei Jahren weise er auf die Schwächen an den Grenzen hin. Am 13. Juli habe er an den Präsidenten der Republik noch einen Brief geschrieben und darin gefordert, die Mittel für die Polizei zu verstärken. Bis jetzt habe er auf all das noch keine Antworten bekommen, meinte Estrosi in dem Brief, der am Samstag in der Zeitung „Nice-Matin“ veröffentlicht wurde. „Nach Charlie Hebdo und dem Bataclan gab es große Erklärungen“, sagte Estrosi zudem in einem Interview der Zeitung. „... acht Monate später haben wir nun Nizza“.

Und er wiederholt die Vorwürfe auch an Ort und Stelle, ergriffen wie alle anderen, die sich an diesen Tagen auf der Promenade des Anglais aufhalten. Dort, wo der 31 Jahre alte Tunesier Mohamed Lahouaiej-Bouhlel mit einem gemieteten Lkw durch die feiernde Menschenmenge am französischen Nationalfeiertag gerast war.

Dort, wo die zerstörerischen Spuren des Anschlags entfernt wurden. Die Narben in den Seelen der Menschen bleiben: Leere Blicke. Verweinte Augen. Männer wie Frauen, Kinder wie ältere Menschen. Mit jedem Tag, der vergeht, scheinen Schmerz und Trauer eher größer und bewusster zu werden.

Ein Mädchen bricht am späten Samstagabend weinend in den Armen einer Freundin zusammen. Andere gehen Hand-in-Hand wortlos die Promenade entlang. Als eine kleinere Gruppe etwas lauter redet, wird sie von einer älteren Dame mit einem entschiedenen „Pst“ ermahnt, leiser zu sein. Andere vergraben ihr Gesicht in den Armen, unter den Sonnenbrillen fließen Tränen. „Traurig“ ist das Wort, das immer wieder zu hören ist. Viele verarbeiten die Horror-Szenen, in dem sie mit anderen drüber reden.

Nizza erweist den Toten aufrichtigen Respekt. Umso deplatzierter wirkt ein Feuerwerk, das in der Nacht auf Sonntag von einem Nobelhotel in dem nahe gelegenen Örtchen Saint-Jean-Cap-Ferrat veranstaltet wird. Die entsprechenden Reaktionen voller Unverständnis in den sozialen Netzwerken lassen nicht lange auf sich warten.

Auch am Sonntag kämpfen noch immer Verletzte gegen den Tod. 18 Menschen befanden sich weiter in Lebensgefahr, darunter ein Kind. 85 Verletzte wurden noch in Krankenhäusern in Nizza behandelt, 29 auf Intensivstationen.

Und noch immer haben manche von ihren Freunden oder Verwandten noch nichts gehört. Ein Mann hält verzweifelt das Foto einer Frau hoch. „Ich suche diese Frau“, sagt er. Sie ist 42 Jahre alt. „Wir würden sie gern lebend wiedersehen“, sagt eine Touristin aus Estland über ihre Freunde. Auch das Schicksal von drei Vermissten aus Berlin war am Sonntag weiter ungewiss.

„Nizza wird nichts vergessen“, betont Estrosi. Auch am Strand wehen die Fahnen auf halbmast. Die improvisierte Gedenkstätte an einer Verkehrsinsel auf der Promenade des Anglais soll bis Montag an den Kiosque de Nice ein paar Meter weiter verlegt werden. Die noch für Autos gesperrte Straßenseite soll am Montag nach einer landesweiten Schweigeminute wieder freigegeben werden.

Die Stadt ist um eine Rückkehr zur Normalität bemüht, soweit das möglich ist. „Warum wir?“, steht auf einer der zahlreichen Botschaften zwischen den Blumen, Kerzen und Plüschtieren auf der Promenade.