Opposition: Lange Fehlerliste in Kundus-Affäre
Berlin (dpa) - Eine „lange Liste von Fehlern“ auf allen Ebenen haben SPD und Grüne in der Kundus-Affäre ausgemacht - Versäumnisse bei der Bundeswehr in Afghanistan, im Verteidigungsministerium und auch im Kanzleramt.
Der vom deutschen Bundeswehr-Oberst Georg Klein befohlene Bombenabwurf auf zwei Tanklaster in der Nähe von Kundus am 4. September 2009 mit über 90 Toten sei politisch wie militärisch ein Fehler gewesen, sagte Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD im Bundestag. Dem seien „gravierende politische Fehleinschätzungen“ in Berlin gefolgt. SPD und Grüne legten am Donnerstag ihre getrennten Berichte für den Kundus-Untersuchungsausschuss vor. Der Bundestag wird im Oktober abschließend darüber beraten. Schwere Vorwürfe erheben beide Parteien gegen die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): „Union und FDP haben sich sachgerechter Aufklärung bis zuletzt verweigert“, klagt die SPD.
Bei dem Luftschlag waren nach Erkenntnissen der Bundeswehr 91 Menschen getötet und 11 verletzt worden. Union und FDP hatten bereits vor der Sommerpause ihre Bewertung vorgelegt. Darin wurden sowohl Oberst Klein als auch Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) entlastet. Ermittlungen und Disziplinarverfahren gegen Klein waren zuvor eingestellt worden.
Nach Ansicht des Grünen-Obmanns im Untersuchungsausschuss, Omid Nouripour, hat Klein mit dem Befehl gegen Einsatzregeln der Nato und gegen Vorschriften des Völkerrechts verstoßen. Allerdings habe er Entscheidungen auf der Grundlage von Falschinformationen getroffen, die nach Ansicht der Grünen möglicherweise aus der afghanischen Provinzregierung gekommen sind.
Auch nach Ansicht der SPD hat es einen „fatalen Umgang“ mit Informationen einer afghanischen Quelle gegeben. Eine problematische Rolle spielte demnach ein als „Hauptmann N.“ bezeichneter Offizier der deutschen Sondereinheit Task Force 47. „Falsche Informationen waren Grundlage einer falschen Entscheidung“, sagt Nouripour.
Arnold meinte: „Wir wissen heute bis in viele Details, was in dieser Nacht vorgefallen ist.“ Demnach ging es bei dem Befehl zur Bombardierung der von den Taliban entführten Tanklaster nicht um eine direkte Bedrohung des deutschen Feldlagers, sondern um die Liquidierung von vier Taliban-Anführern.
Die afghanische Quelle habe zwar betont, dass es sich bei der Menschenmenge, die sich um die beiden Tankfahrzeuge versammelt hatte, ausschließlich um Taliban gehandelt habe. Diese Angaben wurden aber von keiner anderen Seite bestätigt. Auf dieser Basis hätte Oberst Klein seine folgenschwere Entscheidung nicht treffen dürfen, meint die SPD. Inzwischen gilt als gesichert, dass mindestens 83 Zivilisten bei dem Angriff ums Leben kamen, darunter 22 Kinder.
Unterschiedliche Bewertungen nehmen SPD und Grüne zur Rolle von Ex-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan sowie des ehemaligen Verteidigungs-Staatssekretärs Peter Wichert vor, die Guttenberg in der Affäre entlassen hatte. Er hatte ihnen vorgeworfen. Informationen über den Ablauf der Bombardierung nicht an seinen Vorgänger, den damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), weitergegeben zu haben. Dies sei möglicherweise geschehen, um Oberst Klein zu schützen, heißt es im Grünen-Bericht.
SPD-Mann Arnold nannte es dagegen „Unsinn“, den beiden die Schuld in die Schuhe zu schieben. Vielmehr habe die „desaströse Öffentlichkeitsarbeit“ Jungs zu den Fehleinschätzungen in Berlin geführt. Nach Ansicht der SPD war Guttenbergs Behauptung nur vorgeschoben, ihm seien wesentliche Dokumente vorenthalten worden. Schneiderhan und Wichert seien zu Sündenböcken gemacht worden.
Die beiden Oppositionspolitiker hielten auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) „gravierende Bewertungsfehler“ vor. Sie habe ihr Versprechen einer lückenlosen Aufklärung vor dem Bundestag nicht eingehalten. „Sie hat ihre Richtlinienkompetenz nicht wahrgenommen“, sagte Nouripour. Nach Ansicht der Grünen hat auch der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) seine Verpflichtungen „nur ungenügend“ wahrgenommen und sich bei der Aufklärung zu passiv verhalten. Die SPD konnte dagegen keine Verfehlungen Steinmeiers erkennen.