"Pakistan steuert auf Katastrophe zu"
Christian Fischer von der Diakonie Katastrophenhilfe über das vergessene Leid von Millionen in dem asiatischen Land.
Düsseldorf. „Die größte Katastrophe ist das Vergessen“, lautet der aktuelle Leitspruch der Diakonie Katastrophenhilfe. Gemessen daran, ist die Not in Pakistan größer denn je. Denn nach der Flut vor vier Jahren verschwand das islamische Land zwischen Afghanistan und Indien vom Aufmerksamkeitsradar.
Noch heute leiden Hunderttausende unter den Folgen der Flut, aktuellen politischen Problemen und dem Konflikt zwischen Staat und Islamisten. Christian Fischer ist Büroleiter der Diakonie Katastrophenhilfe in Pakistan und kämpft jeden Tag mit Hoffnung, Bürokratie und Verzweiflung.
Herr Fischer, wie ist die Lage in Pakistan?
Christian Fischer: Derzeit gibt es mehr als eine Million Binnenvertriebene aus dem Nordwesten des Landes. Infolge des Konfliktes zwischen Armee und Taliban muss diese Region komplett entvölkert sein. Heftige Regenfälle im Nordosten des Landes und in Indien haben nun erneut zu großen Überschwemmungen geführt. Unser Team war letzte Woche in der Provinz Punjab: Ernte und Saatgut für Millionen Menschen sind dort verloren.
Warum gehen die Menschen?
Fischer: Sie werden zwangsevakuiert. Zuerst hat ihnen das Militär drei Tage Frist gegeben, dann nur noch einen Tag, dann mussten sie sofort flüchten, weil Luftangriff und eine Bodenoffensive begannen. Das ist eine humanitäre Katastrophe.
Woher kommt die Eskalation?
Fischer: Es gab Friedensverhandlungen zwischen beiden Seiten, aber die Taliban haben bei ihren Forderungen deutlich überreizt. So wollten sie die Einführung der Scharia in ganz Pakistan. Die Regierung in Islamabad hatte hingegen kaum eigene Vorschläge. Daher waren die Gespräche zum Scheitern verurteilt, und die Regierung entschied sich zur militärischen Offensive.
Wo befinden sich die Flüchtlinge derzeit?
Fischer: Sie werden vom Militär in bestimmte Zonen geleitet und versorgt. Dort haben wir als internationale Helfer und Journalisten allerdings keinen Zutritt. Wir schicken deshalb lokale Mitarbeiter hin.
Was kann die Diakonie Katastrophenhilfe tun, wenn die Sicherheitslage in der Gegend noch unsicher ist?
Fischer: Es ist derzeit ausgesprochen schwierig. Wir können aktuell unsere Hilfslieferungen nur in enger Zusammenarbeit mit dem Militär an die Bedürftigen verteilen, unsere lokale Partnerorganisation ist vor Ort und kontrolliert, dass es die Hilfsbedürftigen erreicht.
Es gibt Berichte, wonach islamistische Organisationen in die Lücke stoßen, die die Militärsperre erzeugt hat?
Fischer: Das können unsere Mitarbeiter so nicht bestätigen.
Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass die Regierung in Islamabad den Norden des Landes nachhaltig unter ihre Kontrolle bekommen kann?
Fischer: Hier kann ich keine Einschätzung abgeben. Als humanitäre Helfer sind wir strikter Neutralität und Unparteilichkeit verpflichtet. Diese Prinzipien sind in Konflikt- und Krisengebieten wichtige Voraussetzung dafür, dass wir Zugang zu Hilfsbedürftigen erhalten, und für die Sicherheit unserer Hilfskräfte.
Wie schränkt die Sicherheitslage Ihre Arbeit ein?
Fischer: Natürlich versuche ich, in die Projektgebiete zu fahren, muss das aber teilweise mehrere Wochen vor der Reise beantragen. Und selbst wenn ich die Erlaubnis habe, heißt das nicht, dass man mich nicht an einem der Kontrollpunkte aufhält. Oft dient das zwar der eigenen Sicherheit. Aber Fakt ist, dass wir oft nicht zu den Menschen kommen, die unsere Hilfe brauchen.
Welche Rolle spielt es dabei, dass Ihre Organisation einen christlichen Hintergrund hat?
Fischer: Gar keinen, weil wir das aus Sicherheitsgründen bewusst nicht zeigen. Es gibt keine Hinweisschilder auf unsere Projekte, Büros und Fahrzeuge sind nicht mit Logos gekennzeichnet. Wir fahren praktisch anonym und unangekündigt zu den Projekten. Pakistan ist in Sachen Sicherheit eine ziemliche Herausforderung. Wobei deutsche Organisationen noch ein besseres Ansehen haben als Vertreter anderer Länder.
Was muss passieren, damit Pakistan aus der Krise kommt?
Fischer: Das wird noch Generationen dauern, denn es gibt zu viele religiöse und politische Konfliktlinien. Zugleich erodiert das alte Hierarchiesystem: Junge Radikale nehmen heute die Waffe in die Hand und versuchen so ihre Probleme zu lösen. Zudem ist es für uns im Westen nur schwer nachzuvollziehen, wie schnell die Loyalitäten in der Region wechseln können.
Das heißt, die Lage wird noch schlimmer?
Fischer: Ich fürchte möglicherweise. Vor allem, weil unklar ist, wie sich Afghanistan entwickeln wird. Zudem profitieren immer noch zu viele Gruppen von den Konflikten, die kein Interesse am Frieden haben.