„Putins Rache“: 14 Jahre Haft für Chodorkowski
Moskau/Berlin (dpa) - Kompromisslose Justiz in Moskau: Der Kremlkritiker Michail Chodorkowski kommt nach einem international umstrittenen Urteil erst 2017 wieder auf freien Fuß.
Ungeachtet scharfer Kritik aus dem Ausland verurteilte ein Moskauer Gericht den Erzfeind von Regierungschef Wladimir Putin am Donnerstag zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren.
Die Bundesregierung kritisierte das Urteil als Rückschritt auf dem von Kremlchef Dmitri Medwedew eingeschlagenen Weg der Modernisierung Russlands. Nach Ansicht von Beobachtern will Moskau den ehemaligen Ölmagnaten und noch immer einflussreichen Chodorkowski (47) über die Präsidentenwahl 2012 hinaus politisch kaltstellen.
„Es lebe unser unabhängiges russisches Gericht“, rief Chodorkowski sarkastisch nach der Verkündung des Strafmaßes. „Ich verfluche Sie“, schrie seine Mutter Marina dem Richter Viktor Danilkin entgegen. Eine mögliche Begnadigung durch Medwedew lehnte Chodorkowski ab. Der frühere Chef des mittlerweile zerschlagenen Yukos-Ölkonzerns hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen.
Im aktuellen Prozess wegen Unterschlagung von etwa 200 Millionen Tonnen Öl sowie Geldwäsche erhielt Chodorkowski dreizehneinhalb Jahre Haft. Eine Strafe von acht Jahren aus einem ersten Verfahren wegen Steuerhinterziehung werde angerechnet, sagte der Richter Danilkin. Daraus ergibt sich eine Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren. Prozessbeobachter sprachen von einem „harten Urteil“, bei dem der Richter der Staatsanwaltschaft fast völlig gefolgt sei.
Regierung und Opposition in Deutschland reagierten schockiert. „Es bleibt der Eindruck, dass politische Motive bei diesem Verfahren eine Rolle gespielt haben“, teilte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) reagierte mit Sorge. Die erneute Verurteilung sei „der bedauerliche Schlusspunkt eines von vielen Zweifeln begleiteten Prozesses“.
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), sagte, das Verfahren, der Schuldspruch und die Höhe des Urteils „erschüttern das Vertrauen in die rechtsstaatliche Modernisierung Russlands“. Grünen-Chefin Claudia Roth betonte, Chodorkowski und sein ebenfalls zu 14 Jahren Haft verurteilter Ex- Geschäftspartner Platon Lebedew sollten wohl „nach dem Willen der russischen Machthaber für immer hinter Gittern verschwinden“.
Unmittelbar nach dem Urteil lehnte Putins Sprecher Dmitri Peskow eine Stellungnahme ab. Putin hatte vor kurzem live im Staatsfernsehen eine Verurteilung Chodorkowskis gefordert. Da er Chodorkowski offen mit Auftragsmorden in Verbindung brachte, halten sich in Moskau hartnäckig Gerüchte über einen möglichen dritten Prozess gegen Russlands berühmtesten Häftling.
Medwedews Menschenrechtsbeauftragter Michail Fedotow sagte, der Kreml werde das Urteil prüfen. Der studierte Jurist Medwedew hatte wiederholt angekündigt, Russland auf dem Weg zu einem Rechtsstaat vorantreiben zu wollen. Kritiker beklagen jedoch enttäuscht, der Präsident lasse seinen Ankündigungen kaum Taten folgen.
„Wir haben unsere Hoffnung nicht verloren, und unsere Freunde sollten sie auch nicht verlieren“, sagte Chodorkowski. Er hatte angekündigt, das Urteil vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anzufechten.
Der 47-jährige saß während des Prozesses in einem Käfig aus kugelsicherem Glas. Spezialeinheiten der Polizei riegelten das Gebäude weiträumig ab und verhinderten damit Demonstrationen von Regierungsgegnern, wie sie es Anfang der Woche während der Verkündung des Schuldspruchs gegeben hatte.
„Dieses ungerechte und sinnlose Urteil ist eine Schande für Russland“, sagte die Menschenrechtlerin Ljudmila Alexejewa der Staatsagentur Ria Nowosti. Der frühere Vize-Regierungschef und heutige Kremlkritiker Boris Nemzow nannte das Urteil „Putins Vendetta“ (Rache) für Chodorkowskis Unterstützung der Opposition. Putin leide an einer „besonders perversen Form von "Chodorophobie"“. Zum Zeitpunkt von Chodorkowskis Verhaftung 2003 war Putin Präsident.
Richter Danilkin hatte Chodorkowski und Lebedew bereits am Montag schuldig gesprochen. Sie sollen Öl im Wert von 892 Milliarden Rubel (rund 22,5 Milliarden Euro) zu unzulässig niedrigen Preisen erworben und mit hohen Privatgewinnen weiterverkauft haben. Der Schuldspruch hatte weltweit Empörung ausgelöst. Russland wies die internationale Kritik aber als Einmischung in innere Angelegenheiten zurück.
Chodorkowski war 2003 bei einem Zwischenstopp mit seinem Privatjet =in Nowosibirsk festgenommen worden. Die Gesamtstrafe rechnet sich von diesem Zeitpunkt an. Chodorkowski war in der Ära des „Raubtierkapitalismus“ nach dem Ende der Sowjetunion 1991 mit undurchsichtigen Mitteln zum reichsten Mann Russlands aufgestiegen. Beobachter schließen nicht aus, dass er noch über erhebliche Gelder eventuell im Ausland verfügt. Beweise dafür gibt es nicht. Allerdings beschäftigt Chodorkowski einen ansehnlichen Kreis von Juristen.