Jahrestag des Putschversuches Türkischer Präsident Erdogan weist EU-Kritik zurück
Istanbul (dpa) - Vor dem Jahrestag des Putschversuches in der Türkei hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan jede Kritik aus Europa an der Menschenrechtslage in seinem Land scharf zurückgewiesen.
Die Türkei entspreche in der Hinsicht nicht nur den Standards der EU, sondern „wir sind ihnen voraus“, sagte Erdogan bei einer Veranstaltung zu dem Jahrestag in Ankara. „Beim G20-Gipfel in Hamburg haben wir ihren Zustand ja gesehen. Eine Blamage! Eine Blamage! Alles wurde niedergebrannt und verwüstet.“ Am Samstag und Sonntag wird in der ganzen Türkei an den Putschversuch vor einem Jahr erinnert.
Erdogan kündigte an, dass die Regierung den in Folge des Putschversuchs verhängten Ausnahmezustand in das zweite Jahr hinein verlängern wolle. Der derzeit bis zum kommenden Mittwoch geltende Ausnahmezustand ermöglicht es dem Präsidenten, per Dekret zu regieren. Eine Zustimmung des Parlaments gilt als sicher, weil Erdogans AKP dort über eine absolute Mehrheit verfügt. „Wir werden den Ausnahmezustand beenden, wenn wir unsere Ziel in der Terrorbekämpfung erreicht haben. Bevor das zu Ende ist, soll keiner von uns erwarten, den Ausnahmezustand aufzuheben.“
Im Zusammenhang mit dem Putschversuch wurden nach Angaben der Regierung mehr als 50.000 Menschen in Untersuchungshaft gesperrt. Mehr als 142.000 Staatsbedienstete wurden entlassen oder suspendiert. Erdogan wies Kritik aus der EU daran zurück. „Sollen sie doch im Privatsektor arbeiten, was geht uns das an?“, sagte er mit Blick auf die entlassenen Beamten. „Soll der Staat sie etwa versorgen? Der Staat hat sie versorgt, aber sie haben den Staat betrogen.“
Die EU und die Bundesregierung haben Erdogan mehrfach aufgerufen, Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Erdogan sagte am Freitag, die Türkei habe angesichts des Putschversuches so verhältnismäßig reagiert, dass man „unserem Land den Friedensnobelpreis geben“ müsste. Erdogan wies auch Kritik an den jüngsten Festnahmen von Menschenrechtlern zurück, darunter auch der Landesdirektorin von Amnesty International.
Die Türkei untersagte unterdessen einen für Montag geplanten Besuch von Bundestagsabgeordneten auf dem Nato-Stützpunkt im türkischen Konya. Wegen eines Besuchsverbots für den türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik hatte die Bundesregierung entschieden, die dort stationierten 260 Soldaten mit ihren „Tornado“-Aufklärungsflugzeugen abzuziehen. Die Verlegung nach Jordanien hat im Juni begonnen.
Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Claudia Roth, forderte ein sofortiges Ende von Waffenexporten an den Nato-Partner Türkei. Die Grünen-Politikerin sprach sich in der „Frankfurter Rundschau“ auch gegen Wirtschaftshilfen und gegen eine Ausweitung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei aus. Man dürfe keinen Präsidenten unterstützen, „der jeden als Terroristen brandmarkt, der nicht seiner Meinung ist - und zwar wirklich jeden“.
Die türkische Opposition wurde doch noch zur zentralen Gedenkveranstaltung im Parlament anlässlich des Jahrestages des gescheiterten Putsches eingeladen. CHP-Sprecher Bülent Tezcan sagte am Freitag in Ankara, nach Protesten habe Parlamentspräsident Ismail Kahraman, der zur AKP gehört, eine Einladung geschickt. Die CHP werde teilnehmen. Die zweitgrößte Oppositionspartei - die pro-kurdische HDP - kündigte dagegen an, die Veranstaltung mit einer Ansprache Erdogans um 2.32 Uhr in der Nacht zu Sonntag zu boykottieren. Zu dem Zeitpunkt hatten vor einem Jahr Putschisten das Parlament bombardiert.
Tezcan kündigte an, Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu werde eine Rede halten. Das ursprüngliche Programm des Präsidentenpalastes hatte nur Ansprachen von Erdogan, von Parlamentspräsident Kahraman und von Ministerpräsident Binali Yildirim vorgesehen. Außerdem stand eine Rede von MHP-Chef Devlet Bahceli auf dem offiziellen Programm. Die ultranationalistische MHP gehört der Opposition aber nur noch auf dem Papier an, Bahceli unterstützt schon lange Erdogan und die AKP.
Unabhängig von den nächtlichen Ansprachen findet am Samstagmittag eine Sondersitzung des Parlaments mit allen vier Parteien statt. Außerdem hat das Präsidialamt eine Vielzahl von Veranstaltungen in Istanbul und Ankara angekündigt. Am Wochenende sollen wieder „Demokratiewachen“ stattfinden, bei denen Bürger vor einem Jahr öffentliche Plätze besetzten, um sie Putschisten zu verwehren. Sie sollen bis Mitternacht in der Nacht zu Montag andauern.
Angesichts des Vorgehens der Türkei gegen angebliche Regierungsgegner haben im ersten Halbjahr mehr als 3000 Türken Asylanträge in Deutschland gestellt. Zuletzt ging die Zahl der Anträge aus dem Land allerdings wieder zurück, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) am Freitag in Nürnberg mitteilte. Im Juni verzeichnete die Behörde 488 Anträge von Türken. Dies entspricht in etwa dem Niveau vom Juni 2016 mit 485 Anträgen. Zuerst hatten die Zeitungen der Funke Mediengruppe darüber berichtet.