Tunesischer Exodus nach Italien reißt nicht ab
Lampedusa (dpa) - Wegen der Unruhen in ihrem Land fliehen tausende Tunesier mit Booten über das Meer nach Lampedusa. Angesichts des massiven Flüchtlingsstroms aus dem nordafrikanischen Unruheland hat die italienische Regierung für die kleine Insel den humanitären Notstand ausgerufen.
In der Nacht zum Samstag waren erneut mehr als 300 Tunesier in mindestens sieben Booten auf der rund 150 Kilometer vor der nordafrikanischen Küste gelegenen Insel angekommen, und noch mehr Boote aus Tunesien haben Kurs auf Lampedusa genommen. Innerhalb von vier Tagen hätten insgesamt 4000 Flüchtlinge die Insel erreicht, sagte Lampedusas Hafenkommandant Antonio Morana am Abend.
Weil sich die Lage auf der Insel innerhalb weniger Tage dramatisch verschärft hat, kam die Regierung in Rom zu einer Sondersitzung zusammen und rief den humanitären Notstand aus. Mit einer Luftbrücke sollen jetzt alle Neuankömmlinge in kürzester Zeit von Lampedusa in süditalienische Auffanglager gebracht werden. Möglicherweise wird auch ein geschlossenes Empfangszentrum auf der Insel wiedereröffnet.
Auf Lampedusa herrscht Notstand, weil die Behörden überfordert und die Flüchtlingslager auf der kleinen Insel bereits seit vielen Monaten nicht mehr belegt worden sind. Die Ankömmlinge mussten also provisorisch untergebracht werden. Am Samstag sollten mindestens zehn Flüge die meisten Immigranten nach Bari und Crotone bringen, hunderte Menschen zudem per Schiff nach Sizilien gefahren werden. Ein Großteil der Immigranten war schon von der Insel gebracht worden.
Innenminister Roberto Maroni hatte bereits am Freitag vor dem Notstand gewarnt. Es bestehe auch die große Gefahr, dass sich in den Wirren nach dem Volksaufstand in Tunesien Terroristen unter die Immigranten mischen könnten. Es gebe wegen der Krise dort keine Kontrollen mehr. Außenminister Franco Frattini hat rasche Maßnahmen der EU zur Bewältigung des Flüchtlingsstroms verlangt und will mit der neuen Regierung in Tunis über eine Lösung sprechen. Rom hatte ein Abkommen mit Tunesien getroffen, schickt Flüchtlinge zumeist sofort zurück.
Lampedusa erlebt damit erneut eine massive Flüchtlingswelle aus Nordafrika. Maroni hat bisher ausgeschlossen, die ehemaligen Zentren für Flüchtlinge auf Lampedusa wiederzueröffnen. Etwa 1000 Menschen könnte das „Empfangszentrum“ dort zumindest vorübergehend aufnehmen.
Die Lager der Insel südlich von Sizilien waren geschlossen worden, nachdem wegen der umstrittenen Flüchtlingspolitik der italienischen Regierung kaum noch Menschen dort eintrafen. Zuvor waren von Juli 2008 bis Juli 2009 noch mehr als 20 000 Bootsflüchtlinge dort angekommen.