USA: Rebellen wohl für Boeing-Abschuss verantwortlich
Moskau/Amsterdam (dpa) - Prorussische Separatisten in der Ostukraine haben nach Erkenntnissen der USA sehr wahrscheinlich das malaysische Passagierflugzeug mit 298 Menschen an Bord abgeschossen. US-Präsident Barack Obama wies Russland indirekt eine Mitverantwortung zu.
Die Regierung in Moskau wies alle Vorwürfe zurück - und machte ihrerseits die ukrainische Führung mitverantwortlich. Alle 283 Passagiere und 15 Besatzungsmitglieder der Malaysia- Airlines-Boeing waren am Donnerstag bei dem Absturz ums Leben gekommen. An Bord waren unter anderen 189 Niederländer und 4 Deutsche. Alle betroffenen Länder sowie UN-Generalsekretär Ban Ki Moon fordern eine unabhängige Untersuchung. Prorussische Separatisten verwehrten internationalen Beobachtern am Abend jedoch den vollständigen Zugang zur Absturzstelle.
Obama sagte, die Boden-Luft-Rakete, die das Flugzeug abgeschossen habe, sei aus einem von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiet abgefeuert worden. „Wir wissen noch nicht genau, was passiert ist“, räumte Obama ein. Es wäre aber nicht das erste Mal, dass ein Flugzeug von den Aufständischen abgeschossen worden sei. „Das war kein Unfall. Das passiert wegen russischer Unterstützung.“ Ohne diese sei es den Separatisten nicht möglich, „so zu funktionieren, wie sie funktionieren“.
Direkte Anschuldigungen gegen Kremlchef Wladimir Putin vermied Obama. Man dürfe keine voreiligen Schlüsse ziehen. Angesichts der Tragödie riefen Obama und Putin die Konfliktparteien in der Ukraine zu einer sofortigen Waffenruhe auf. Obama bezeichnete den Vorfall auch als „Weckruf“ für Europa und die Welt. Er forderte Russland erneut auf, endlich für Frieden in der Ukraine zu sorgen.
Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power, hatte eine Verstrickung Russlands in den Abschuss von Flug MH017 angedeutet. „Wir können nicht ausschließen, dass russisches Personal beim Betrieb dieser Systeme geholfen hat“, sagte sie bei einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats in New York. Russland wies die Vorwürfe zurück. „Wir verweisen alle Schuld an die Regierung in Kiew“, sagte Moskaus UN-Botschafter Vitali Tschurkin.
Die Boeing 777-200 kann nach Ansicht von US-Experten nur von einer hoch komplexen Waffe getroffen worden sein. Wie die Zeitung „Wall Street Journal“ schrieb, reichten tragbare Raketen, die von der Schulter abgefeuert werden, nicht aus, ein Verkehrsflugzeug in 10 000 Metern Höhe zu treffen.
Das in den 1980er-Jahren entwickelte Lenkwaffen-System „Buk“ (Buche) kann Ziele in Höhen bis zu 25 000 Metern treffen. In Medienberichten hieß es, die Separatisten seien im Besitz der Waffe. Die prowestliche Führung der Ukraine wies dies zurück. Aus Sicht Kiews führt die Spur deshalb nach Russland. Aus Moskau kam umgehend das Dementi. Russland habe weder das Flugabwehrsystem noch sonstiges Kriegsgerät in das Nachbarland geschafft, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums.
Aufklärung könnte eine unabhängige Untersuchung schaffen. Doch nach Angaben der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) konnten sich die Beobachter zunächst nicht uneingeschränkt bewegen. Sie sollten über die Situation vor Ort berichten und wollten dies an diesem Samstag erneut versuchen. Die OSZE forderte, es dürften keine Gegenstände oder Trümmer vom Unglücksort entfernt werden. Wie ein Sprecher der regierungstreuen Gebietsverwaltung von Donezk mitteilte, wurden am Freitag zwei Flugschreiber sichergestellt. Es blieb aber unklar, wo sich die Geräte befinden.
Berichte, wonach die etwa 20 OSZE-Vertreter beschossen worden seien, dementierte die Organisation. In der Nähe der Gruppe seien Schüsse abgefeuert worden, hieß es lediglich.
Deutschland beteiligt sich an einem Einsatz zur Bergung und Identifizierung der Opfer. Das Bundeskriminalamt wird dazu zunächst zwei Experten entsenden. Auch die internationale Polizeiorganisation Interpol schickt nach eigenen Angaben ein Spezialteam.
Nach Angaben des Innenministeriums in Kiew wurden die sterblichen Überreste der Passagiere nach Charkow gebracht. In der etwa 300 Kilometer von der Absturzstelle entfernten Stadt werde ein Labor zur Identifizierung eingerichtet, hieß es. Separatisten wiederum kündigten an, die Leichen würden in Mariupol identifiziert.
An den internationalen Märkten sorgte der Absturz für weitere Nervosität. An den wichtigsten Börsenplätzen ging es am Freitag auf Talfahrt, die Ölpreise stiegen. Die Unsicherheit auch mit Blick auf die Bodenoffensive Israels im Gazastreifen verstärkt nach Ansicht von Marktexperten die Nervosität der Investoren.
Abseits der Entwicklung um den Flugzeugabsturz dauerten die Gefechte in dem Konfliktgebiet an. Bei Kämpfen in Lugansk seien allein am Freitag mehr als 20 Zivilisten getötet worden, teilte die Stadtverwaltung mit. In Lissitschansk bei Lugansk geriet nach Artilleriebeschuss eine Raffinerie in Brand. Nach dem Beschuss eines Umspannwerks in Lugansk sei in 85 Prozent der Großstadt der Strom ausgefallen, hieß es.