Vizepräsident Biden greift Ryan frontal an
Heftiger Schlagabtausch der Stellvertreter endet laut Experten ohne klaren Sieger.
Washington. Im einzigen Fernsehduell zwischen den amerikanischen Vizepräsidentschaftskandidaten haben Joe Biden (69) und dessen republikanischer Herausforderer Paul Ryan (42) schonungslos zum Angriff geblasen. Sein jüngerer „Freund“ verbreite „einen Haufen Quatsch“ schimpfte Barack Obamas Stellvertreter, während jener die Versäumnisse der angeblich gescheiterten Regierung aufzählte.
So oder so dürfte der beherzte Auftritt des kampflustigen Vizepräsidenten kaum ausgereicht haben, um weniger als vier Wochen vor der Präsidentschaftswahl die Republikaner aus der Überholspur zu verdrängen. Beim Duell Barack Obama gegen Mitt Romney war es noch relativ zivil zugegangen. Dass er aus der ersten von drei Debatten mit seinem Gegner als klarer Verlierer hervorgegangen war, hatte später ein nachdenklicher Präsident ja auch mit den Worten begründet: „Ich war wohl einfach zu höflich.“
Von Höflichkeit aber war beim Aufeinandertreffen der Stellvertreter in Danville (Kentucky) nichts zu spüren. Biden wusste, dass sein Chef mit dem Rücken zur Wand stand und nur ein K.o.-Schlag reichen würde, um „Team Romney“ den Wind aus den Segeln zu nehmen. Kein Thema war an diesem Abend tabu, und die Kandidaten schenkten sich nichts. Sie stritten über Libyen, Iran, den Kampf gegen den weltweiten Terrorismus, steigende Staatsschulden und vor allem Arbeitsplätze sowie jene unklar definierte „Mittelklasse“, die beide Lager mit kämpferischen Wahlslogans seit Monaten zu umwerben versuchen. Neunzig Minuten lang ging es Schlag auf Schlag, und deutlicher als beim Duell zwischen Obama und Romney traten die tiefgreifenden inhaltlichen und ideologischen Differenzen zwischen den Kandidaten zutage. Das Weiße Haus nehme offenbar die von Iran ausgehende Nukleargefahr nicht richtig ernst, schimpfte Ryan. Die Sanktionen gegen Teheran seien „die schärfsten in der Geschichte aller Sanktionen“ schoss Biden zurück.
Obamas Chefstratege David Axelrod sprach von einem „klaren Sieg“ für Biden, doch die Meinungen der Experten waren durchwachsen. Dass während Ryans Ausführungen auf dem gespaltenen Bildschirm ständig ein abschätzig lachender Biden zu sehen war, der seinen Gegner laufend unterbrach, wirkte auf viele herablassend und alles andere als staatsmännisch.