Widerstand gegen Sonderstatus für Ostukraine
Kiew/Moskau (dpa) - Gegen den überraschend beschlossenen Sonderstatus für die Ostukraine wächst der Widerstand in Kiew. Ministerpräsident Arseni Jazenjuk sagte bei einer Kabinettssitzung, seine Regierung werde die selbst ernannten „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk nicht anerkennen.
Mehrere Abgeordnete beantragten bei der Oberste Rada die Rücknahme des Gesetzes wegen angeblicher Verstöße gegen Abstimmungsregeln. Das russische Außenministerium begrüßte indes die Friedensinitiative von Präsident Petro Poroschenko als „Schritt in die richtige Richtung“.
Im Streit zwischen den Führungen in Kiew und Moskau um ein am Dienstag ratifiziertes Partnerschaftsabkommens zwischen der EU und der Ukraine legte Russland nach. Moskau bestand darauf, dass ein in dem Abkommen enthaltener Freihandelspakt erst Anfang 2016 in Kraft tritt. Darauf hatten sich Vertreter aus Brüssel, Kiew und Moskau am Freitag geeinigt. Die USA gratulierten der Ukraine zu dem Abkommen mit der EU und sprachen von einem historischen Schritt.
Russland ist gegen den Freihandelspakt und hat zahlreiche Änderungswünsche angemeldet. Das Außenministerium teilte mit, es rechne damit, dass bis Ende 2015 alle russischen Bedenken ausgeräumt seien. Moskau befürchtet, dass billige Produkte aus dem Westen den russischen Markt überschwemmen könnten. Als weniger konkurrenzfähig geltende russische Waren könnte dies gefährden, fürchten russische Produzenten.
Der Kreml droht Kiew mit hohen Steuern auf ukrainische Waren, sollte der Freihandel zwischen der EU und der Ukraine doch früher als 2016 umgesetzt werden. Der ukrainische Ministerpräsident Jazenjuk warnte indes, sollte Russland dies tun, werde die Ukraine Gegenmaßnahmen ergreifen.
Mit dem neuen Sonderstatus räumt Kiew den Gebieten Donezk und Lugansk für drei Jahre Selbstverwaltungsrechte ein. Vorgesehen sind zudem örtliche Wahlen am 7. Dezember sowie die Gründung einer eigenen Volksmiliz. Ein Amnestiegesetz gewährt den Separatisten zudem weitgehende Straffreiheit.
Die Rada hatte das entsprechende Gesetz am Vortag in einer nicht öffentlichen Sitzung angenommen. Die ukrainischen Beschwerdeführer - überwiegend aus der Vaterlandspartei von Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko - kritisieren, bei der Abstimmung seien elektronische Abstimmungsmaschinen verwendet worden. Dadurch stehe die Glaubwürdigkeit infrage, weil nicht klar sei, wie die Volksvertreter gestimmt hätten, argumentierten sie.
Separatistenführer Andrej Purgin kündigte an, trotz der scharfen Kritik an dem Sonderstatus weiter mit Kiew verhandeln zu wollen. Den für Dezember angesetzten Wahlen erteilte der Donezker Anführer Alexander Sachartschenko jedoch eine Absage. „Wir werden selber entscheiden, wann wir welche Wahlen abhalten“, sagte er. Russland kritisierte den ukrainischen Widerstand gegen den Sonderstatus: Die Gegner des Gesetzes wollten wieder einen Konfrontationskurs in der Ostukraine einschlagen, hieß es aus dem Außenministerium in Moskau.
Seit dem 5. September herrscht im Konfliktgebiet eine - immer wieder brüchige - Waffenruhe zwischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten. Auch am Mittwoch berichtete die Stadtverwaltung von Donezk von zwei bei Beschuss getöteten Zivilisten.
Die Bundesregierung beschloss, bis Ende des Jahres 20 Polizisten für eine EU-Mission zur Reform des zivilen Sicherheitssektors in der Ukraine zu entsenden. Ein Vorauskommando mit deutscher Beteiligung ist bereits vor Ort.
Russland hat auch wegen der neuen Sanktionen des Westens gegen Moskau Gegenmaßnahmen angekündigt. Eine Reaktion Moskaus auf die vor gut einer Woche verhängten Strafmaßnahmen steht aber noch aus. „Unsere Antwort darf unsere nationalen Interessen nicht gefährden“, sagte Föderationsratschefin Valentina Matwijenko. Moskau erwägt unter anderem einen Importstopp für westliche Autos und Kleidung sowie die Einschränkung der Überflugrechte für westliche Airlines.
Der ukrainische Präsident Poroschenko wird am Donnerstag in Washington erwartet, wo er auch US-Präsident Barack Obama trifft. Am Mittwoch reiste er zunächst nach Kanada.