Ausnahmezustand in Londons Norden
Die Polizei bekommt die Lage nicht unter Kontrolle.
London. Das Viertel Tottenham im Norden der britischen Hauptstadt hat am Montag nach einem Wochenende der Gewalt versucht, wieder auf die Füße zu kommen. Doch die Stimmung ist angespannt. Wütende Plünderer und Brandstifter waren am Sonntag erneut durch den Problembezirk gezogen. Es ist offensichtlich, dass die Polizei der Lage kaum Herr wird.
Hubschrauber tauchen ganze Wohngebiete in gleißendes Licht, martialischer Lärm ist zu hören, die Hauptstraßen sind menschenleer, Polizeihunde kläffen, Rotorblätter knattern. So klingt der Ausnahmezustand in Tottenham, wo nach zwei Nächten der Ausschreitungen allmählich die Nerven der Anwohner blankliegen.
„Ich habe Angst“, sagt Ismail, der einen kleinen Eckladen mit Lebensmitteln am Rande der High Street führt. Freitag war dies noch ein quirliges, buntes Stadtteilzentrum, heute ist es ein Tatort. Vom Herzen der Straße, einem hohen Art-déco-Gebäude, ist nur noch eine Ruine übrig.
Am Samstag hatten Randalierer das Wahrzeichen Tottenhams in Brand gesteckt. Am Montag kokelte es noch immer. Ismail kennt sich aus mit Unruhestiftern: Hooligans sorgen nach Spielen des Fußballvereins Tottenham Hotspurs gelegentlich für Ärger. Doch Ausschreitungen, wie sie seit Freitag jede Nacht durch den Norden rollen, hat er noch nie gesehen: „Erst kamen sechs oder zehn Vermummte, dann 50, 60.“ Der Gemüsehändler ließ die Rollladen herunter; die Brandbomben trafen dann den Blumenladen ein paar Meter weiter. Bis auf die Backsteinmauern ist das Geschäft ausgebrannt.
„Wir haben unser Haus das ganze Wochenende nicht verlassen“, sagt Freddie Gachette. Wie die Mehrheit im Viertel stammt der Familienvater aus der Karibik. 90 Prozent der Menschen in Tottenham sind Zuwanderer; Subkulturen, Drogen und Arbeitslosigkeit dominieren den Alltag.
An der Kirche St. Ignatius fällt nicht das majestätische Holzportal auf, sondern die Plastiktonne daneben: „Trennt Euch von Euren Messern, schmeißt sie hier weg“, steht auf einem Zettel.