Belgien steht vor einer Schicksalswahl

Analyse: Eine Partei, die die Teilung des Landes befürwortet, könnte am Sonntag stärkste Kraft im Parlament werden.

Brüssel. Belgien wählt - und die Teilung des Landes rückt näher. Bisher war das Ende des Königreichs nicht viel mehr als der Wunschtraum einer radikalen Minderheit. Mittlerweile ist es etwas, das sich auch eine gemäßigte Mehrheit vorstellen kann.

Das Parlament, dessen Zusammensetzung 7,7 Millionen Belgier morgen bestimmen, wird nicht das letzte in der vergleichsweise kurzen Geschichte des 1830 gegründeten Königreichs sein. Es könnte aber das erste werden, in dem die größte Partei ihren Wahlsieg nur als Vorstufe des großen Absprungs betrachtet.

Wahlsieger wird nach den Prognosen Bart de Wever. Der 39-Jährige hat mit seiner NVA (Neue Flämische Allianz) Aussichten, mit rund einem Viertel der Stimmen in Flandern stärkste Kraft zu werden. Damit wäre die Partei vermutlich zugleich Nummer eins im ganzen Land - in Belgien wählen die beiden Landesteile getrennt, und die Flamen sind mehr an Zahl als die Wallonen.

Auch die kommende Regierung wird sich, wie die im Mai zerbrochene Koalition des flämischen Christdemokraten Yves Leterme, auf ein Bündnis mehrerer Parteien stützen müssen.

Erster Anwärter auf die Nachfolge Letermes könnte de Wever sein. Und diesmal ist es nicht mehr nur die rechtsradikale Vlaams Belang, die aus der Verbindung mit den Wallonen heraus möchte. Auch die bürgerliche NVA hat wissen lassen, dass die angestrebte Umwandlung des Bundesstaates Belgien in eine Staaten-Föderation nur Durchgangsstation sei.

Im Süden, dort wo die Belgier nicht niederländisch, sondern französisch sprechen, hat die Vorstellung von der Teilung zwar kaum Anhänger. Dass der Prozess in diese Richtung läuft, ist aber auch den Frankophonen nicht verborgen geblieben.

Bei ihnen könnten die Sozialisten die meisten Stimmen sowie den Auftrag bekommen, die Einheit des Landes zu erhalten. Wie das gegen den Willen einer flämischen Mehrheit gelingen soll, ist freilich nicht zu sehen.

Auch ein Optimist wie Karl-Heinz Lambertz, Regierungschef der deutschsprachigen Minderheit im Osten, klingt nicht mehr zuversichtlich, wenn er seine Heimat beschreibt als "ein Land, dessen Föderalismus sehr zentrifugal funktioniert". Auf gut Deutsch: Es könnte auseinander fliegen.