CDU konservativer machen, könnte Wählerstimmen kosten
Die „WerteUnion“ will Angela Merkel als Parteivorsitzende stürzen und die CDU konservativer machen. Eine aktuelle Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung sagt: Das wird Zustimmung und Wählerstimmen kosten.
Berlin/Engelskirchen. Als der Generalsekretär der CDU noch Ronald Pofalla (58) hieß, karrte er die Funktionärsriege seines Bezirksverbands Niederrhein zu einer Machtdemonstration nach Berlin. Auf Ansage des Generals fanden sich die Minister Wolfgang Schäuble (damals Inneres) und Ursula von der Leyen (damals Familie) sowie der frischgebackene Fraktionsvorsitzende Volker Kauder zu zeitintensiven Einzelaudienzen bereit.
Als einer der Niederrheiner Kauder zu fragen wagte, wann die Fraktion denn mal wieder das konservative Profil der Union schärfen werde, schnauzte Kauder ihn im Kasernenhof-Ton an: „Die CDU ist nicht konservativ! Hören Sie auf zu sagen, die CDU sei konservativ. Die CDU vertritt Werte!“
So ähnlich (nur freundlicher) sagt es CDU-Landeschef, Merkel-Vize und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet heute immer noch und warnt vor einem Rechtsruck der Partei: „Wir müssen deutlich machen, dass der Markenkern der Christlich Demokratischen Union eben nicht das Konservative ist, sondern dass das christliche Menschenbild über allem steht“, so Laschet in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Und: „Mit dem, der die Achsen verschieben will, werden wir hart streiten. Ich bin bereit, darüber eine harte Grundsatzdebatte zu führen“, kündigte Laschet kampfesmutig an.
Den Kampf wird Laschet bekommen, wenn die CDU am Montag in Berlin zu ihrem Bundesparteitag zusammentritt. Denn die „Konservativen“, die nach Laschets Auffassung nicht zum Markenkern der CDU gehören, haben sich inzwischen in einer bundesweiten „WerteUnion“ mit 15 Landesverbänden organisiert. Wie viele Parteimitglieder sich dahinter verbergen, weiß niemand so genau, auch der Bundesvorsitzende der „WerteUnion“, Alexander Mitsch, nicht.
Die „WerteUnion“ und die sie unterstützenden Initiativen, die teils als „konservativer“ oder „freiheitlich-konservativer Aufbruch“ firmieren, hätten „mehrere Tausend Mitglieder“, so Mitsch gegenüber dieser Zeitung: „Eine genaue Zahl können wir aktuell noch nicht angeben, da die Erfassung und der Abgleich aller Daten bei allen Initiativen noch nicht abgeschlossen ist.“ Es seine alle ehrenamtlich tätig, und sie erlebten seit der Gründung vor zehn Monaten „ein stürmisches Wachstum“.
Anders als in der AfD, deren mit Dr.- und Adels-Titeln telegen verkleidete Führungsriege aus Halb-Verfassungsfeinden und Dreiviertel-Nazis stramm auf dem Weg ist, den Boden des Grundgesetzes endgültig zu verlassen, besteht die Masse der „WerteUnion“-Anhänger aus CDU-Mitgliedern, die einfach nichts von der Homo-Ehe halten, für ordentliche Schulnoten und gegen Gender-Mainstreaming sind, die doppelte Staatsbürgerschaft ablehnen, eine rigide Ausländerpolitik befürworten und einen EU-Zentralstaat und Rettungspakete ablehnen. Und sie lehnen den Koalitionsvertrag mit der SPD ab, plädieren für eine Minderheitsregierung — und wollen, dass Angela Merkel den Parteivorsitz abgibt.
Es sind Leute wie Mitsch selbst. Der 51-Jährige stammt aus Plankstadt bei Heidelberg, einer Gemeinde mit knapp 10.000 Einwohnern, wo die CDU-Versammlungen auch schon mal in der Pizzeria „Zum Vogelpark“ stattfinden. Der Diplom-Kaufmann ist seit 33 Jahren in der CDU aktiv, aber erst seit 2017 Beisitzer im baden-württembergischen CDU- Kreisverband Rhein-Neckar. Mit 13 Jahren sammelte er Geld für die Rettung von Walen, im Rotary Club Mannheim-Brücke organisiert er Feste und Ausflüge für krebskranke Kinder — ein grundsympathischer Typ.
Oder wie die NRW-Vorsitzende Simone Baum: 57, einfaches Ratsmitglied im oberbergischen Engelskirchen-Loope, gelernte Diplom-Verwaltungswirtin. Baum stammt aus der früheren DDR, war mit 24 Jahren die jüngste Bürgermeisterin Thüringens, eckte an, trat schließlich aus der SED aus und kam über den Arbeitnehmerflügel CDA 2008 zur CDU. 2010 zog sie von Köln aufs Land, engagierte sich ab 2011 als Sachkundige Bürgerin im Sozialausschuss der Gemeinde, seit 2014 ist sie Ratsmitglied in Engelskirchen. Ihr Vorbild: Wolfgang Bosbach.
Alexander Mitsch geht davon aus, dass die „WerteUnion“ mit ihrer Ablehnung des Koalitionsvertrags nicht allein ist: „Wir rechnen damit, dass mindestens ein Viertel der Delegierten nicht mit Ja stimmen wird. Dies und die Zahl der Enthaltungen hängt aber auch stark vom Abstimmungsverfahren ab, geheim oder offen“, so Mitsch gegenüber dieser Zeitung.
Dass das „Konservative“ — im Gegensatz zur Position Armin Laschets — sehr wohl zur CDU gehört, sieht Mitsch durch eine aktuelle Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung bestätigt. Die sage ganz klar, „dass sich die Basis als deutlich konservativer einschätzt als die derzeitige Parteiführung“, so Mitsch in einem Interview des Deutschlandfunks. Entweder wolle Laschet bewusst provozieren und vielleicht sogar eine Spaltung der Partei herbeiführen, oder aber er habe das Grundsatzprogramm der CDU nicht gelesen. Da stehe im Selbstbild doch ganz klar drin, „dass zur CDU auch konservative Strömungen gehören“.
Nicht ganz. Ohne den Zusatz „wert-“ kommt „konservativ“ ein einziges Mal in dem Papier aus dem Jahr 2007 vor, dessen Überarbeitung (nicht nur) Armin Laschet für überfällig hält. Der Satz lautet etwas lieblos: „Die CDU hat konservative, liberale und christlich-soziale Wurzeln.“ Sie hat aber tatsächlich erheblich mehr Mitglieder, die konservative Positionen vertreten, als potenzielle Wähler, die sich von diesen Positionen überzeugen ließen.
Im Dezember 2017 hat die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung eine empirische Analyse von CDU-Mitgliedern, CDU-Wählern und Gesamtbevölkerung mit dem Titel „Ich wollte etwas bewegen” veröffentlicht. Das Ergebnis: „In vielen Einschätzungen unterscheiden sich die Mitglieder der CDU von der Anhängerschaft, in vielen anderen Bereichen sind die Ansichten fast deckungsgleich. (...) Mitglieder orientieren sich stark an Grundwerten, während in der Bevölkerung und der Wählerschaft der Problemlösung eine höhere Priorität eingeräumt wird. Ältere CDU-Mitglieder betonen das christliche Welt- und Menschenbild als Grundlage politischen Handelns.“
Bedeutet das, dass die CDU sich im Hinblick auf Umfrage- und Wahlergebnisse keinen Gefallen täte, wenn sie sich konservativer aufstellte, weil ihre Basis heute bereits deutlich konservativer tickt als die Wählerschaft? „Ihre Interpretation ist durch die Daten auf jeden Fall gedeckt“, so die Leiterin der Studie, Viola Neu, gegenüber dieser Zeitung. Bislang waren der CDU Stimmen immer wichtiger als Mitglieder. Man ist ja schließlich nicht die SPD.