Interview zum Tod von Al-B. Chef der Polizeigewerkschaft: „Ein erheblicher Rückschlag“

Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, über den Tod des terrorverdächtigen Syrers und die Folgen.

Foto: dpa

Herr Wendt, was nutzt die ständige Beobachtung eines Inhaftierten, wenn er trotzdem Suizid begehen kann?

Rainer Wendt: Ständige Beobachtung heißt nicht, dass ständig jemand neben einem Verdächtigen sitzt. Das kann durchaus auch die Überprüfung des Zelleninneren in regelmäßigen oder unregelmäßigen Abständen sein. Das wird jeweils einzeln angeordnet. Ausschließen kann man solche Ereignisse wie den Suizid des Terrorverdächtigen also nicht.

Ist dieser Suizid ein Rückschlag für die Terrorabwehr?

Wendt: Eindeutig ja. Von al-B. konnte man sich im Rahmen der Vernehmungen möglicherweise Informationen erhoffen, die wertvoll hätten sein können. Beispielsweise, wie er gesteuert wurde, welche Kommunikationswege von ihm genutzt wurden und ob es noch Mitwisser gegeben hat. Auch für die Aufklärung seiner Attentatspläne ist das ein erheblicher Rückschlag.

Muss man nicht von einer unglaublichen Pannenserie in Sachsen sprechen?

Wendt: Na ja, manches wurde als Panne bezeichnet, was dann am Ende keine war. Beispielsweise war die gescheiterte Festnahme in Chemnitz keine Panne, sondern dafür gab es nachvollziehbare Gründe.

Und zwar?

Wendt: Nach meinen Informationen war der Zugriff noch in der Vorbereitung und man hatte deshalb noch keine verdeckte Absperrung, sondern nur eine verdeckte Umstellung. Mitten in diese Vorbereitung kam dann eine Person aus dem Haus, von der der betroffene Beamte nicht wusste, ob es der Verdächtige ist. Er hat ihn erst angesprochen und danach in die Luft geschossen. Der Beamte hatte die Alternative, auf ihn zu schießen oder ihn laufen zu lassen und hat sich vollkommen richtig entschieden. Der Gedanke, dass sich dieser Verdächtige dann an seine Landsleute wenden wird, war naheliegend. Und so ist es ja auch gekommen.

War denn die Festnahme ein Beweis für die Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörden oder nicht eher eine Heldentat dreier syrischer Flüchtlinge?

Wendt: Sowohl als auch. Die Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörden hat sich durch die monatelange Observation unter Beweis gestellt. Man kann noch nicht mit allem zufrieden sein, aber die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Polizei hat hervorragend funktioniert. Da haben wir aus dem NSU-Skandal viel gelernt. Alle Informationen der Behörden liefen beim Terrorismusabwehrzentrum zusammen. Auch der Teil der Öffentlichkeitsfahndung war gut. Die Kollegen haben sofort auf allen Kanälen gearbeitet.

Die Diskussion über die Bewertung des Eingreifens der drei Syrer ist voll entbrannt.

Wendt: Von Menschen, die hier Schutz und Unterkunft bekommen, darf man ein solches Eingreifen durchaus erwarten. Ich bin von der Idee, ihnen dafür das Bundesverdienstkreuz zu verleihen, weit entfernt. Wenn wir das machen, dann bitte auch für alle Alten- und Krankenpflegerinnen und viele andere mehr.

Der Dank des Innenministers reicht aus?

Wendt: Ich finde, ja. Die Kanzlerin hat außerdem aus Afrika gedankt, und das zu einem Zeitpunkt, wo die Ermittlungen noch nicht einmal abgeschlossen sind. Normalerweise äußert sie sich aus dem Ausland gar nicht zu innenpolitischen Fragen.

Muss der Zugriff der Nachrichtendienste auf die zentrale Flüchtlingsdatenbank verbessert werden?

Wendt: Auf Antrag gibt es diesen Zugriff ja schon. Wenn sie jemanden haben, von dem sie glauben, dass er beobachtet werden muss, bekommen sie die Daten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Aber dass es keinen generellen Zugriff gibt, halte ich für falsch. Man stelle sich vor, Personen werden im europäischen Ausland registriert und ihre Fingerabdrücke liegen beim BAMF vor, möglicherweise aber unter anderen Personalien. Das können wir zurzeit nicht überprüfen. Damit macht sich der Staat selbst künstlich dumm. Ich halte die Weigerung des BAMF, Daten herauszugeben, für einen innenpolitischen Skandal.

Innenminister Thomas de Maizière scheint aber mit Frank-Jürgen Weise sehr zufrieden zu sein.

Wendt: Ich weiß nicht, was ihn reitet, Herrn Weise als Gralshüter der Trendwende beim BAMF hervorzuheben. Ich glaube nicht, dass Herr Weise ein guter Behördenleiter ist. Er hat die Prozesse beschleunigt. Aber das Kriterium der Qualität hat er völlig außer Acht gelassen. Es geht nur noch um Schnelligkeit und darum, die Verfahrenswege zu verkürzen und die Verfahrenszahlen zu erhöhen. Wir müssen uns endlich der Tatsache bewusst werden, dass das BAMF auch eine Sicherheitsbehörde ist.

Sind weiche Terrorziele wie Flughäfen oder Bahnhöfe noch besser zu schützen?

Wendt: Was machen wir denn, wenn der nächste Terroranschlag einen Kindergarten trifft, sollen wir dann Antiterrorkämpfer vor jede Kita stellen? Noch mehr Ringe zu ziehen, wird nicht weiterhelfen. Wir brauchen intelligente Technik, wie sie jetzt als Pilotprojekt an einem Berliner Bahnhof ausprobiert wird. Das ist eine in Deutschland entwickelte Software, die auffälliges Personenverhalten erkennen kann. Dazu Gesichtserkennungssoftware. In diese Techniken muss jetzt investiert werden. Dann hätte es möglicherweise verhindert werden können, dass dieser Terrorist, von dem wir ja Fotos hatten, hundert Kilometer mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Leipzig fahren konnte.

Wie viel Kontrolle verträgt eine freie Gesellschaft?

Wendt: Eine freie Gesellschaft ist nur so lange frei, wie wir auch kontrollieren können. Die Kriminalitätsfurcht der Menschen ist dramatisch gestiegen. Diese Furcht war immer unrealistisch, aber sie ist ein Indiz für das, was in der Bevölkerung los ist. Und sie führt bei vielen zu einem Vermeidungsverhalten. Dadurch haben wir einen massiven kollektiven Freiheitsverlust, den wir gar nicht mehr merken. Ich glaube, dass Freiheit Kontrolle und Sicherheit braucht.

Was halten Sie von dem Unionsvorschlag, sogenannte Gefährder vorbeugend in Haft zu nehmen?

Wendt: Da habe ich ganz starke verfassungsrechtliche Bedenken. Einsperren kann man Leute nur, wenn sie Straftaten begehen.