China schließt seine Arbeitslager — offiziell
Statt Dissidenten werden nun Drogenkranke betreut. Alles nur eine Mogelpackung?
Peking. Tang Hui schluchzt. Über Jahre hatte die Mutter in China für eine härtere Strafe gegen die Entführer und Vergewaltiger ihrer elfjährigen Tochter gekämpft. Aber dann verschärften die Behörden nicht die Strafen für die Täter, sondern sperrten Tang Hui in eines der berüchtigten Arbeitslager zur Umerziehung. Aber sie kämpfte weiter, nun gegen das Lager. Am Ende der Sendung in Chinas Staats-TV laufen der Frau Freudentränen über das Gesicht — Peking hat das System der Umerziehungslager offiziell abgeschafft.
Plötzlich sind sich alle einig: Die „Umerziehung durch Arbeit“ (Laojiao) ist schlecht. Wang Gongyi vom Justizministerium attackiert das alte System ein letztes Mal: „Es ist nicht gut für den Schutz der Menschenrechte, Bürgern ihre persönlichen Freiheiten ohne Gerichtsbeschluss zu entziehen.“
Zum Anfang dieses Jahres gab es nach Angaben des Justizministeriums noch 260 Arbeitslager mit 160 000 Insassen. Die meisten sollen bereits leer oder umgewandelt worden sein. Das System der Lager war in den 1950er Jahren in Anlehnung an die berüchtigten Gulags in der Sowjetunion eingerichtet worden. Selbst für kleine Vergehen konnte die Polizei Kriminelle oder Dissidenten bis zu vier Jahre in den Anstalten verschwinden lassen. Der Beschluss eines Richters war dafür nicht nötig.
Aber Menschenrechtler schlagen Alarm. Die Organisation Chinese Human Rights Defenders warnt, dass die Behörden bereits ein System „schwarzer Gefängnisse“ etabliert hätten, in denen sie schon heute unliebsame Aktivisten verschwinden ließen. Die Abschaffung der Arbeitslager sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, meint Corinna-Barbara Francis von Amnesty International. Allerdings fürchtet sie, dass dies ein nur „kosmetischer Wandel“ sein könnte. Die Arbeitslager würden in Reha-Zentren für Drogenkranke umbenannt, arbeiteten aber nach den gleichen Prinzipien wie zuvor.
Einige Lagerbetreiber leugnen gar nicht, dass sie ihre Arbeit weiterführen wollen. Ein Mitarbeiter des umbenannten „Tiantanghe Rehab Center“ pries in den Staatsmedien: „Wir bieten nun physische und mentale Unterstützung für Menschen, die von ihren Drogenproblemen loskommen wollen.“ Die Mitarbeiter hätten einen Crashkurs bekommen, wie sie mit Abhängigen umgehen sollten. Es müssten nur noch die Eingangsschilder ausgetauscht werden.