Politik und ethische Fragen Ethikrat – Berater für die ganz großen Fragen

DÜSSELDORF · Ein immer häufiger gefragtes Gremium von Wissenschaftlern nimmt Einfluss auf die Entscheidungen von Bundestag und Bundesregierung.

Alena Buyx, Vorsitzende Deutscher Ethikrat (M) und die Ethikrat-Mitglieder Sigrid Graumann und Volker Lipp.

Foto: dpa/Michael Kappeler

„Deutscher Ethikrat rät davon ab, Sonderregeln für Geimpfte einzuführen.“ So oder ähnlich lauteten vor ein paar Tagen die Überschriften in den Zeitungen. Und in den Fernsehnachrichten war zu sehen, wie Alena Buyx, die Vorsitzende des Ethikrats, mit zwei Kollegen vor der Bundespressekonferenz auftrat. Wo sonst Minister oder Kanzlerin Rede und Antwort stehen. Der selbstsichere Vortrag von Buyx mag dem unbefangenen Zuschauer den Eindruck vermittelt haben: Na, dann wird das jetzt wohl so kommen - auch Geimpfte werden ihre Grundrechte auf absehbare Zeit nicht ausüben können. Oder, polemisch formuliert: Alle sind gleich, Hauptsache, es geht allen gleich schlecht und keiner braucht neidisch auf den anderen sein.

Natürlich muss die Sache differenzierter gesehen werden. Eben das macht auch der Ethikrat in seiner jüngsten Stellungnahme. Wie die früheren Veröffentlichungen dieses Gremiums der letzten Jahre ist es eine lesenswerte Sammlung des Pro und Contra zu einem ethischen Problem. Und dass die Überzeugungskraft des guten Arguments am Ende die politischen Entscheidungen bestimmen soll - auch dem lässt sich ja zustimmen. Dennoch: Gesellschaftlich wichtige Entscheidungen müssen die demokratisch gewählten Politiker treffen. Sie sind dem Wähler verantwortlich. Und dürfen sich dabei nicht hinter einer Wissenschaftler-Elite verstecken.

Kritik an religiösem Weltbild vieler Mitglieder

Was aber ist dieser Ethikrat, der einem größeren Fernsehpublikum kürzlich bekannt wurde, als es in dem Bühnenstück „Gott“ von Ferdinand von Schirach um das Thema Sterbehilfe ging? Der Ethikrat soll ein unabhängiges Gremium sein (siehe Infokasten). Das ist keine Selbstverständlichkeit. Als der Deutsche Ethikrat 2007 seine Arbeit aufnahm, da hatte es durchaus  Diskussionen gegeben, ob nicht auch Politiker Mitglieder sein könnten. Um dem demokratischen Auftrag gerecht zu werden: Wenn da schon etwas mit großer wissenschaftlicher Autorität verkündet wird, dann wollte man bereits beim Entscheidungsprozess dabei sein. Es kam anders, der demokratische Einfluss wird dadurch sichergestellt, dass Bundestag und Bundesregierung die Mitglieder je zur Hälfte berufen.

Freilich gibt es auch an diesem Auswahlprozess Kritik. So analysierte die von der humanistischen Giordano-Bruno-Stiftung gegründete „Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland“ (fowid) Anfang 2019 die Lebensläufe und Herkunft der Mitglieder und kam zu dem Ergebnis: „Aus den eigenen Angaben der Mitglieder, ihrer beruflichen Stellung oder des Umfeldes haben mindestens 17 Mitglieder ein christliches bzw. religiöses Weltbild. Damit sind Fragen, wie zum Beispiel zum Thema Präimplantationsdiagnostik, Sterbehilfe oder auch Beschneidung von kleinen Jungen zum überwiegenden Teil aus religiöser Sicht beurteilt worden.“

Gerade die aktuelle Debatte um die Sterbehilfe zeigt, wie stark die Kirchen und deren im Gegensatz zu Mehrheitsmeinungen in der Bevölkerung stehenden Ansichten hier eine Rolle spielen. Elke Schäfer, Autorin der Fowid-Analyse: „Das starke Übergewicht von Kirchenvertretern im Ethikrat ist nicht mehr zeitgemäß, da auch in der Bevölkerung der Anteil Nichtreligiöser wächst. Philosophen und Ethiker, die sich mit Fragen der Ethik im säkularen Staat beschäftigen, sollten Vorrang vor Theologen haben, die ihre Weltanschauung oft nicht mit Abstand betrachten und neutral urteilen können.“

Fowid schlägt stattdessen vor: Es müssten mehr Menschen aus Bereichen, die alltäglich ethische Entscheidungen treffen, im Ethikrat vertreten sein. Zum Beispiel Menschen, die bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr oder Katastropheneinsätzen waren, Mitarbeiter aus dem Strafvollzug, Sozialarbeiter, Palliativmediziner, Menschen aus Pflegeeinrichtungen und Kinderheimen. Menschen aus Berufsgruppen, die sich im Alltag mit der menschlichen Existenz, mit Moral und Gerechtigkeit auseinandersetzen müssen, seien unterrepräsentiert.

Politik darf sich nicht hinter dem Expertenrat verstecken

Gewiss, Stellungnahmen des Ethikrates binden nicht die am Ende entscheidenden Politiker. Der Ethikrat gibt ja lediglich Empfehlungen. Und doch liegt in dem geballten Auftreten wissenschaftlichen Sachverstands am Ende auch die Verlockung für Politiker, sich genau dahinter zu verstecken.

Das ist keine bloße Theorie. Als im vergangenen Frühjahr erstmals das Thema aufkam, ob Geimpfte per Impfausweis wieder freien Zugang zu allen Annehmlichkeiten der Gesellschaft haben können, da wollte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)  eben dies schon in Gesetzesform gießen. Das Votum des Ethikrates im Frühjahr stimmte ihn um. Natürlich ist es nichts Schlechtes, wenn sich ein Politiker beraten lässt. Aber es darf nicht der Eindruck entstehen, die Politik verstecke sich achselzuckend hinter einer höheren wissenschaftlichen Autorität.

So sagt es auch der Berliner Verfassungsrechtler Christoph Möllers mit Blick auf die Absage des Ehtikrates an mögliche Vorrechte von Geimpften: Natürlich sei es wichtig, „das Problem als Problem darzustellen und das Dilemma als Dilemma“. Und: „Es ist, glaube ich, auch wichtig, dass Politikerinnen und Politiker das selber machen und sich nicht hinter solchen Gremien verschanzen, deren Legitimation ja dann doch nicht so ganz klar ist.“